Im Fokus von Klimt-Werk stehen sämtliche Aspekte des Œuvres des Jugendstilmeisters. Visualisiert durch eine Timeline, werden hier Klimts Schaffensperioden aufgerollt, beginnend von seiner Ausbildung, über seine Zusammenarbeit mit Franz Matsch und seinem Bruder Ernst in der »Künstler-Compagnie«, die Affäre um die Fakultätsbilder bis hin zu seinem Nachruhm und Mythos, der diesen Ausnahmekünstler noch heute umgibt.

1898 – 1900

Wiege der Moderne

In der Phase zwischen Gründung der Secession 1897 und dem Skandal um das Fakultätsbild Philosophie im Jahr 1900 wandelte sich Gustav Klimt endgültig zum Vertreter der Modernen Kunst. In den Ausstellungen der Secession präsentierte er sich mit den Gemälden für Nicolaus Dumba, Pallas Athene, Nuda Veritas, großformatigen Frauenporträts und ersten Landschaften.

8 Kapitel


Gustav Klimt: Plakat für die I. Ausstellung der Wiener Secession (zensiert), 1898, Klimt-Foundation
© Klimt-Foundation, Wien

Palais Dumba

Für den einflussreichen Mäzen, den Industriellen Nicolaus Dumba entwarf Gustav Klimt die Dekoration eines Musiksalons bestehend aus den zwei Supraporten »Die Musik« sowie »Schubert am Klavier«. Wenn auch nur die Ölskizzen dazu im Original erhalten sind, so zeigen diese Klimts eindringliche Auseinandersetzung mit der internationalen Moderne.

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Josef Löwy: Einblick in den Musiksalon im Palais Dumba, 1899, MAK – Museum für angewandte Kunst
© MAK

Mythos, Märchen und eine Al­le­go­rie

Als Gustav Klimt 1898/99 die archaische Pallas Athene, die allzu irdische Allegorie der Nackten Wahrheit, Nuda Veritas, und das Gemälde Bewegtes Wasser schuf, hatte er sich bereits zu einem Vertreter der Moderne gewandelt. In kurzer Zeit entwickelte Klimt einen »secessionistischen« Stil, in dem er Flächigkeit, Frontalität und Goldglanz mit der subtilen Leichtigkeit des postimpressionistischen Strichs verband.

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Gustav Klimt: Bewegtes Wasser, 1898, Privatbesitz
© Private collection, Courtesy Kallir Research Institute, New York

Moderne Porträts

Gustav Klimt ist heute als Schöpfer eindrucksvoller, großformatiger Frauenporträts bekannt. Doch erst im Alter von 36 Jahren tat er sich mit dem Porträt von Sonja Knips in dieser Gattung hervor. Es folgten die Bildnisse von Serena Lederer und Trude Steiner, mit denen er sich ab 1900 zunehmend als »Maler der Frauen« etablierte.

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Gustav Klimt: Porträt Sonja Knips, 1897/98, Österreichische Galerie Belvedere
© Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll

Erste Land­schaf­ten

Klimt setzte sich ab dem Jahr 1897 kontinuierlich mit der Gattung der Landschaftsmalerei auseinander. Während die ersten Darstellungen noch im Stil des Stimmungsrealismus gehalten sind, werden die Landschaften Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend vom Impressionismus und Symbolismus geprägt.

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Gustav Klimt: Ein Morgen am Teiche, 1899, Leopold Museum
© Leopold Museum, Wien

Fa­kul­täts­bil­der. Die Phi­lo­so­phie

Das Fakultätsbild Die Philosophie markiert Gustav Klimts endgültigen Bruch mit der akademischen Tradition und seine Hinwendung zum Symbolismus. Im Jahr 1900 wurde das Gemälde erstmals ausgestellt und sorgte für einen Skandal. Nach zahlreichen Änderungen und Ergänzungen bis 1907 verbrannte das Werk 1945 in Schloss Immendorf.

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Gustav Klimt: Die Philosophie, 1900-1907, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt, in: Kunstverlag Hugo Heller (Hg.): Das Werk von Gustav Klimt, Wien - Leipzig 1918.
© Klimt-Foundation, Wien

Ver Sacrum und Skan­dal­pla­kat

Als erster Präsident der Wiener Secession prägte Gustav Klimt die Ausrichtung der neuen Vereinigung maßgeblich. Er gestaltete das zensierte Plakat der »I. Kunst-Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs«, stellte neben internationalen Avantgarde-Künstlern in dieser aus und lieferte Beiträge für die bahnbrechende Vereinszeitschrift Ver Sacrum.

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Gustav Klimt: Plakatentwurf für die I. Secessionsausstellung, unzensierte Version, 1898, Privatbesitz
© Klimt-Foundation, Wien

Aus­stel­lungs­be­tei­li­gun­gen

In den späten 1890er-Jahren vollzog sich für Klimt der Wandel vom historistischen Dekorationsmaler zum eigenständigen, modernen Künstler. Die Ausstellungen der neu gegründeten Secession boten Klimt die ideale Plattform für die Präsentation seiner zunehmend symbolistischen Werke, die in der Öffentlichkeit jedoch heftige Skandale hervorriefen.

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Alfons Mucha: Plakat Österreich auf der Weltausstellung Paris, 1900
© Klimt-Foundation, Wien

Zeich­nun­gen

Kurz vor 1900 zeichnete Gustav Klimt sowohl mit Kreide als auch mit Tusche, wodurch er atmosphärisch-intimen Damenbildnissen und stilisierten Allegorien gänzlich unterschiedliche Erscheinungsweisen geben konnte. Dabei orientierte er sich am international aufstrebenden Symbolismus und Jugendstil.

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Gustav Klimt: Brustbild einer jungen Dame mit Hut und Cape im Profil nach links, 1897/98, Leopold Museum
© Leopold Museum, Wien

Wiege der Moderne

Palais Dumba

Josef Löwy: Einblick in den Musiksalon im Palais Dumba, 1899, MAK – Museum für angewandte Kunst
© MAK

Gustav Klimt: Entwurf einer Wand mit Tür und Supraporte des Musiksalons Dumba, um 1897, Privatbesitz
© Austrian Archives/Scala Florence

Für den einflussreichen Mäzen, den Industriellen Nicolaus Dumba entwarf Gustav Klimt die Dekoration eines Musiksalons bestehend aus den zwei Supraporten Die Musik sowie Schubert am Klavier. Wenn auch nur die Ölskizzen dazu im Original erhalten sind, so zeigen diese Klimts eindringliche Auseinandersetzung mit der internationalen Moderne.

Der bedeutende Auftraggeber, Schubert-Sammler und Mäzen Nicolaus Dumba verfolgte offensichtlich seinerzeit das Konzept, die Repräsentationsräume seines an der Wiener Ringstraße gelegenen Palais von den wichtigsten lebenden Malern Wiens ausstatten zu lassen. So hatte Hans Makart bereits in den 1870er Jahren das Arbeitszimmer gestaltet, das auch malerisch und fotografisch für die Nachwelt festgehalten wurde. Zwanzig Jahre später übertrug Dumba schließlich den beiden Künstlern Franz Matsch und Gustav Klimt die Gestaltung des Esszimmers sowie des Musikzimmers.

Der Auftrag an die beiden aufstrebenden Maler erging bereits 1893, wobei tatsächlich erst vier Jahre später mit der (architektonischen) Planung und Ausführung begonnen wurde. Zusätzlich zu den Gemälden plante Klimt nämlich auch Türen, Wandabwicklungen und die Decke zu gestalten. Hierzu sind heute sogar zwei Entwürfe (1897, Wien Museum, 1897, Privatbesitz) überliefert.

Den insgesamt sehr langen Entstehungsprozess der Supraporten für das Musikzimmer des Palais Dumba kommentierte der Klimt-Kritiker Karl Kraus in der Fackel jedenfalls später pointiert:

»Er [Nicolaus Dumba] hatte die Bilder für sein Musikzimmer bei Klimt bestellt, als dieser noch in der braven Art der Laufberger-Schule arbeitete und sich höchstens ein paar Makart’sche Extravaganzen gestattete. In der Zwischenzeit war aber dem Maler der Khnopff aufgegangen, und jetzt ist er, damit die Geschichte nicht ohne Pointe bleibt, Pointillist geworden. Und das muss natürlich der Besteller alles mitmachen. So ward [!] Herr von Dumba ein Moderner.«

Nicolaus Dumba in seinem Arbeitszimmer, um 1890
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek

Galerie

Briefe von Gustav Klimt an Nicolaus Dumba in den Jahren 1896/97

  • Gustav Klimt: Brief von Gustav Klimt in Wien an Nicolaus Dumba, 31.10.1896, Österreichische Nationalbibliothek
    © Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Österreichische Nationalbibliothek
  • Gustav Klimt: Brief von Gustav Klimt in Wien an Nicolaus Dumba, 31.10.1896, Österreichische Nationalbibliothek
    © Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Österreichische Nationalbibliothek
  • Gustav Klimt: Brief von Gustav Klimt in Wien an Nicolaus Dumba in Wien, 09.02.1897, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Teilnachlass Nicolaus Dumba
    © Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung
  • Gustav Klimt: Brief von Gustav Klimt in Wien an Nicolaus Dumba in Wien, 09.02.1897, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Teilnachlass Nicolaus Dumba
    © Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung
  • Gustav Klimt: Brief von Gustav Klimt in Wien an Nicolaus Dumba in Wien, 21.04.1897, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Teilnachlass Nicolaus Dumba
    © Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung
  • Gustav Klimt: Brief von Gustav Klimt in Wien an Nicolaus Dumba in Wien, 21.04.1897, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Teilnachlass Nicolaus Dumba
    © Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung

Salon im Palais Dumba vermutlich vor der Umgestaltung zum Musiksalon, um 1890
© Wien Museum

Die Musik und Schubert am Klavier
In den beiden Gemälden, die 1897/98 bzw. 1899 ausgeführt wurden, wird die Hinwendung Klimts zum Symbolismus, zur Viktorianischen Malerei aber auch dem französisch-belgischen Postimpressionismus offenkundig.

In Die Musik ist im Vergleich zur Studie eine deutliche Klärung der Motive festzustellen. Die Kithara-Spielerin wendet sich nun aus dem Bild heraus. Sie stützt das Musikinstrument auf die niedrige Mauer, der ornamental gefüllte Hintergrund nimmt die gesamte Fläche ein. Zunehmend drängte Klimt diffus gemalte, postimpressionistische Elemente zurück, um flächig aufgefassten Partien Platz zu machen. Auch in Schubert am Klavier lässt sich diese Tendenz beobachten. Das Porträt des Komponisten wird in der verlorenen Ausführung von einer schwarzen Tür hinterfangen. Der Kerzenschein bringt zwar noch immer Reste von pointillistischer Malerei zur Geltung, doch begann Gustav Klimt während der Arbeit an diesen beiden Bildern in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre, einen originären Stil, den flächig organisierten Jugendstil, zu entwickeln.

Klimts Supraporten in der Kritik
Gustav Klimt präsentierte die Auftragswerke in der I. und IV. Ausstellung der Wiener Secession, die 1898 bzw. 1899 stattfanden. Während Die Musik medial kaum Erwähnung fand, wurde das Gemälde Schubert am Klavier 1899 von der Mehrheit der Kritiker bejubelt. Der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr bezeichnete es sogar als »das schönste Bild, das jemals ein Österreicher gemalt hat«. Ein Journalist der Arbeiter-Zeitung setzte wiederum die beiden Supraporten auch in einen direkten Vergleich:

»Der koloristische Afford in beiden Bildern ist ganz verschieden. War das erste farbig, glänzend, kräftig, dekorativ=phantastisch, so ist dieses [Schubert am Klavier] tief im Ton, dämmrig und zart empfunden. Koloristisch hat sich der Maler seine Aufgabe keineswegs leicht gemacht. […] Das Bild ist im hohem Grade subjektiv empfunden, will isolirt [!] betrachtet sein und verlangt eine ungewöhnliche Vertiefung in die Absichten des Künstlers.«

Galerie

»Schubert am Klavier« und »Die Musik«

  • Gustav Klimt: Schubert am Klavier (Entwurf), 1896/97, Privatbesitz, Dauerleihgabe im Leopold Museum, Wien
    © Leopold Museum, Wien
  • Gustav Klimt: Schubert am Klavier, 1899, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Josef Löwy: Schubert am Klavier, 1899, MAK – Museum für angewandte Kunst
    © MAK
  • Gustav Klimt: Die Musik (Entwurf), 1895, Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Neue Pinakothek München
    © bpk | Bayerische Staatsgemäldesammlungen
  • Gustav Klimt: Die Musik, 1897/98, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Josef Löwy: Die Musik, 1899, MAK – Museum für angewandte Kunst
    © MAK

Verbleib der Werke
Die Ausstattung des Palais Dumba ist im Gesamten heute nicht mehr erhalten. Ebenso die beiden Supraporten, die am Ende des Zweiten Weltkriegs in Schloss Immendorf verbrannt sein dürften. Diese wurden zuletzt 1943 im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert. Einen Eindruck der Werke geben heute daher nur noch Reproduktionen, einige zeitgenössische Fotografien und die beiden Entwürfe in Öl, die sich in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung München bzw. in Privatbesitz (Dauerleihgabe im Leopold Museum, Wien) befinden.

Literatur und Quellen

  • Carl Schreder: Erste Kunstausstellung der Secession, in: Deutsches Volksblatt, 22.04.1898, S. 3.
  • N. N.: Wiener Briefe, in: (Salzburger) Fremden-Zeitung, 02.04.1898, S. 4.
  • Alice Strobl (Hg.): Gustav Klimt. Die Zeichnungen, Band I, 1878–1903, Salzburg 1980, S. 101-103.
  • Ludwig Hevesi: Das Heim eines Wiener Kunstfreundes (Nikolaus Dumba), in: Kunst und Kunsthandwerk. Monatsschrift des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, 2. Jg., Heft 10 (1899), S. 341-365.
  • Alexander Klee: Nicolaus Dumba. Philanthrop, Mäzen und Kulturpolitiker, in: Agnes Husslein-Arco, Alexander Klee (Hg.): Klimt und die Ringstraße, Ausst.-Kat., Unteres Belvedere (Wien), 03.07.2015–11.10.2015, Wien 2015, S. 111-120.
  • Hermann Bahr: Secession, Wien 1900, S. 120-121.
  • Arbeiter-Zeitung, 21.03.1899, S. 4-5.

Mythos, Märchen und eine Allegorie

Gustav Klimt: Pallas Athene, 1898, Wien Museum
© Wien Museum

Tafel CXI, in: Eduard Gerhard (Hg.): Auserlesene Griechische Vasenbilder, hauptsächlich Etruskischen Fundorts, Band 2, Berlin 1843.
© Universitätsbibliothek Heidelberg

Franz Stuck: Plakat zur VII. Internationalen Kunstausstellung in München, 1897
© Museum Villa Stuck, Nikolaus Steglich

Als Gustav Klimt 1898/99 die archaische Pallas Athene, die allzu irdische Allegorie der Nackten Wahrheit, Nuda Veritas, und das Gemälde Bewegtes Wasser schuf, hatte er sich bereits zu einem Vertreter der Moderne gewandelt. In kurzer Zeit entwickelte Klimt einen »secessionistischen« Stil, in dem er Flächigkeit, Frontalität und Goldglanz mit der subtilen Leichtigkeit des postimpressionistischen Strichs verband.

Auf der »II. Ausstellung« der Wiener Secession im November 1898 präsentierte sich Gustav Klimt unter anderem mit drei aktuellen Werken, der Pallas Athene (1898, Wien Museum, Wien), Bewegtes Wasser (1898, Privatbesitz) und dem Porträt Sonja Knips (1897/98, Belvedere, Wien). Alle drei Gemälde erregten Aufmerksamkeit, wobei vor allem Pallas Athene und Bewegtes Wasser bei nahezu allen Kommentatoren Kopfschütteln provozierten.

Pallas Athene
Das quadratische Gemälde mit dem von Klimt gestalteten Rahmen lässt keinen Zweifel aufkommen, welche Figur es vorstellt. In Großbuchstaben ließ Klimt den Namen der griechischen Göttin »PALLAS ATHENE« auf die obere Leiste schreiben. In strenger Frontalität präsentiert sich die Dargestellte als wehrhafte Figur: Sie trägt einen goldglänzenden, griechischen Helm mit Nasenschutz, das glitzernde Gorgoneion und einen schuppigen Brustpanzer (Aegis) über einem roten Chiton. Mit ihrer Linken stützt sie sich auf den Schaft einer Lanze. Mit ihrer Rechten hält Pallas Athene eine kleine Nike auf einer Kugel, die bereits in einer Illustration aus Ver Sacrum (März 1898) vorgeprägt ist und frappant an das im folgenden Jahr fertiggestellte Gemälde Nuda Veritas (1899, Österreichisches Theatermuseum, Wien) erinnert. Ihr Spiegel reflektiert das Licht wie ein bläulich-weißer Blitz vor dem warmen Kupfer- und Rotgold der Aegis. Hinter Pallas Athene tauchen schemenhafte Figuren und ein schuppiges Tier auf. Klimt kopierte hier die Bemalung einer Hydria des Vatikan Malers G 43 (um 530 v. Chr., The Toledo Museum of Art, Toledo, Ohio), welche Herkules Kampf mit Triton zeigt.

Im Jahr, bevor er Pallas Athene malte, hatte Gustav Klimt die wehrhafte Schutzgöttin der Kunst bereits für das erste Ausstellungsplakat der Wiener Secession als Motiv gewählt. Damit bezogen sich er und seine Mitstreiter auf die Münchner Secession und das von Franz von Stuck entworfene Plakat. Stuck war in Wien bestens bekannt, hatte er doch für Martin Gerlachs Allegorien und Embleme (1882–1884) Entwürfe geliefert. Für das Plakat der »VII. Internationalen Kunstausstellung« entwarf der Münchner Symbolist eine Darstellung der Pallas Athene, die formal und inhaltlich die Lösung des Gemäldes von Gustav Klimts vorbereitet.

Wenn man zudem Klimts etwa acht Jahre ältere Darstellung der Pallas Athene im Zwickelbild des Stiegenhauses des k. k. Kunsthistorischen Hofmuseums (heute: Kunsthistorisches Museum, Wien) mit der Darstellung im Wien Museum vergleicht, so fällt das deutlich betonte kriegerische, unnahbare Erscheinungsbild der Göttin im späteren Ölgemälde auf.

Gustav Klimt: Die Griechische Antike (Athena), 1890/91, Kunsthistorisches Museum
© KHM-Museumsverband

Dass die Zeitgenossen vor der Modernität der Auffassung und der Darstellung der Göttin der Weisheit bei der Erstpräsentation erschraken, berichten zeitgenössische Quellen wie das Magazin Kunst und Kunsthandwerk 1898:

»Gustav Klimt steht mit einer Reihe neuer Bilder, so wenig sie dem großen Publicum zu Gefallen gemalt sind (im Gegenteil!), ganz auf dem Niveau. Seine vielbesprochene Pallas Athene in Goldhelm und cyan-goldener Schuppen-Aegis ist eine echt secessionistische Göttin, von aparter Farbenpoesie der Person, wie der Ausrüstung. Dieses kühne Werk, das an allen Überlieferungen vorbeigeht und nur dem persönlichen Gefühl folgt, wird in der Wiener Malergeschichte denkwürdig bleiben.«

Gustav Klimt: Bewegtes Wasser, 1898, Privatbesitz
© Private collection, Courtesy Kallir Research Institute, New York

Gustav Klimt: Fischblut, in: Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 3 (1898).
© Klimt-Foundation, Wien

Bewegtes Wasser
Zwischen 1898 und 1907 malte Gustav Klimt eine Gruppe von kleinformatigen, symbolistischen Gemälden, mit denen er märchenhafte und geheimnisvolle Unterwasserszenen vorstellte. Das sich in Privatbesitz befindliche Werk Bewegtes Wasser dürfte bereits im Sommer 1898 entstanden sein. Es zeigt fünf nackte Frauenleiber, die in einer diagonalen Bewegung über die Bildfläche ziehen. Ihre Körperhaltungen, die Haare aber auch die parallel gesetzten blauen und violetten Linien sowie die gedämpfte Lichtsituation suggerieren gemeinsam mit dem Titel, dass es sich um schwimmende Wasserwesen handeln könnte. In der rechten unteren Ecke taucht ein kahlköpfiges Wesen mit grün schimmernden Augen auf. Genau hier setzte Gustav Klimt seine Signatur in leuchtendem Rot.

Gustav Klimt verarbeitete in der Darstellung der namenlosen weiblichen Wasserwesen das Konzept der Fakultätsbilder. Heute noch sind über 400 Entwürfe und Skizzen für den Komplex der Deckengemälde nachweisbar. In ihnen erprobte der Maler Motive für das Werden, Gedeihen und Vergehen des menschlichen Lebens, das er in den Fakultätsbildern in Form eines in die Höhe strebenden Menschenturms visualisierte.

In einem engen Verhältnis zu Bewegtes Wasser steht sowohl kompositionell als auch inhaltlich ebenso die Federzeichnung Fischblut (1898, Privatbesitz), die Klimt für eine Ausgabe des Kunstmagazins Ver Sacrum schuf. Die mit starkem Schwarz-Weiß-Kontrast konzipierte Grafik nimmt den Zug der schwimmend-schwebenden Frauen voraus. Ein großer Fischkopf, weich gezogene Linien und Blasen machen den Handlungsort Wasser identifizierbar.

Nuda Veritas
Zu Klimts umstrittensten Werken im Jahr 1899 gehört Nuda Veritas. Das mit 252 x 56,2 cm schmale und hohe Bild zeigt eine nackte, junge Frau in strenger Frontalität, deren Erscheinungsbild an die Stilistik des belgischen Malers Fernand Khnopff erinnert. In ihrer roten Haarmähne stecken weiße Margeriten und mit ihrer Rechten hält sie einen, das Licht reflektierenden, Spiegel hoch. Blau-violette Linien hinter der »Nackten Wahrheit«, so der auf Deutsch übersetzte Bildtitel, werden als reinigendes Wasser oder Schleier gedeutet. Die beiden flankierenden Löwenzahn-Blüten, die weißen Blumen im Haar sowie die sich zu Spiralen formenden, ornamentalen Linien hinter dem Kopf der »Nackten Wahrheit« werden als Naturmotive mit der Frühlingssymbolik der Secession in Verbindung gebracht.

Gustav Klimt: Nuda Veritas, 1899, Theatermuseum, Wien
© KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien

Gustav Klimt: Nuda Veritas, 1898, Wien Museum
© Wien Museum

Eine Natter – womöglich ein Hinweis auf Erneuerung – schlängelt sich rund um die Beine der »Nackten Wahrheit«, die fest auf einem goldenen Sockel mit der Aufschrift »NUDA VERITAS« ruhen. Über dem Kopf der »Nackten Wahrheit« prangt der in Versalien gesetzte Schriftzug:

»KANNST DU / NICHT ALLEN / GEFALLEN DURCH / DEINE THAT UND DEIN / KUNSTWERK – / MACH ES / WENIGEN RECHT. / VIELEN GEFALLEN / IST SCHLIMM. – / SCHILLER.«

Bereits ein Jahr zuvor, 1898, hatte Gustav Klimt zwei Tuschezeichnungen realisiert, die in engem Zusammenhang mit dem Gemälde Nuda Veritas stehen. Der Neid und eine erste Fassung der Nuda Veritas (beide 1898, Wien Museum, Wien) wurden im dritten Heft des ersten Jahrgangs von Ver Sacrum reproduziert. Beide Personifikationen weisen die gleiche kompositionelle und formale Lösung auf. Die Figur des Neids tritt als hochbetagte Frau in griechischem Chiton auf, die Natter hat sie um ihren Hals gelegt. Im Gegensatz dazu visualisiert Klimt die Personifikation der Nackten Wahrheit als jugendliche Frau – allerdings noch mit einem Zitat des deutschen Romantikers Leopold Schefer.

In einer zwischen 1897 und 1899 zu datierenden Skizze im Roten Skizzenbuch, ein Geschenk Gustav Klimts an Sonja Knips, das sich heute in der Sammlung des Belvedere in Wien befindet, entwickelte der Maler die Komposition weiter. Er änderte den Frauentyp, wohl weil sich Klimt in seiner Malerei intensiver mit einem lebenden Modell auseinandersetzen wollte.

Galerie

Skizzengenese der »Nuda Veritas«

  • Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien
  • Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien
  • Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien
  • Gustav Klimt: Nuda Veritas, 1899, Theatermuseum, Wien
    © KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien

Bruno Reiffenstein (?): Einblick in die Villa Bahr, um 1901
© Klimt-Foundation, Wien

Das auf der »IV. Ausstellung« (18.03.–31.05.1899) der Wiener Secession ausgestellte Werk erzürnte die Kritiker ob des überschlanken Mädchenkörpers und der rötlichen Wangen. Das groß über dem Kopf der Dargestellten prangende Zitat von Friedrich Schiller wurde als Affront des Künstlers gegen sein ihm bisher wohlgesonnenes, in den letzten Jahren aber abgerücktes Publikum interpretiert. Der Klimt-Freund und Autor Hermann Bahr erwarb das Werk und hängte es in einem Spezialschrank im Arbeitszimmer seiner Villa auf.

Heute gilt die Nuda Veritas als das Gemälde, mit dem sich Gustav Klimt nicht nur als ein Anhänger des Konzepts der Freiheit der Kunst präsentierte, sondern darüber hinaus der Kunst eine gesellschaftspolitisch bedeutende Rolle zuschrieb. Der Kunstschaffende der Moderne zählte sich zu einem kleinen Kreis von »Auserwählten«, einer künstlerischen wie gesellschaftlichen Elite, deren Werke imstande wären, Wahrheit aufzudecken und zu vermitteln – weswegen die »Nackte Wahrheit« auch den Spiegel in Richtung ihres Publikums hält, auf dass man das eigene Bild im gleißend hellen Lichtfleck entdecken möge.

Literatur und Quellen

  • Gottfried Fliedl: Gustav Klimt 1862-1918. Die Welt in weiblicher Gestalt, Köln 1998.
  • Tobias G. Natter (Hg.): Gustav Klimt. Sämtliche Gemälde, Wien 2012.
  • Toni Stoos, Christoph Doswald (Hg.): Gustav Klimt, Ausst.-Kat., Kunsthaus Zürich (Zürich), 11.09.1992–13.12.1992, Stuttgart 1992.
  • Ursula Storch (Hg.): Klimt. Die Sammlung des Wien Museums, Ausst.-Kat., Wien Museum (Wien), 16.05.2012–07.10.2012, Wien 2012.
  • Alice Strobl: Wasserbilder, in: Alfred Weidinger (Hg.): Gustav Klimt, München - Berlin - London - New York 2007, S. 73-92.
  • Ludwig Hevesi: Aus dem Wiener Kunstleben, in: Kunst und Kunsthandwerk. Monatsschrift des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, 1. Jg., Heft 11-12 (1898), S. 409.

Moderne Porträts

Gustav Klimt: Porträt Helene Klimt, 1898, Kunstmuseum Bern, Leihgabe aus Privatbesitz
© Kunstmuseum Bern

Gustav Klimt: Porträt Sonja Knips, 1897/98, Österreichische Galerie Belvedere
© Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll

Gustav Klimt: Dame am Kamin (Dämmerung), 1897/98, Österreichische Galerie Belvedere
© Belvedere, Wien

Gustav Klimt: Allerlei Gesichter (Dame im Fauteuil), 1897/98, Privatbesitz, courtesy of HomeArt
© Sotheby's

Gustav Klimt: Porträt Serena Lederer, 1899, The Metropolitan Museum of Art, Purchase, Wolfe Fund, and Rogers and Munsey Funds, Gift of Henry Walters, and Bequests of Catharine Lorillard Wolfe and Collis P. Huntington, by exchange, 1980
© The Metropolitan Museum of Art, New York

Gustav Klimt: Porträt Trude Steiner, 1900, Verbleib unbekannt
© Galerie Welz

Gustav Klimt ist heute als Schöpfer eindrucksvoller, großformatiger Frauenporträts bekannt. Doch erst im Alter von 36 Jahren tat er sich mit Porträt Sonja Knips in dieser Gattung hervor. Es folgten die Bildnisse von Serena Lederer und Trude Steiner, mit denen er sich ab 1900 zunehmend als »Maler der Frauen« etablierte.

Bevor sich Gustav Klimt mit dem großformatigen Porträt Sonja Knips (1897/98, Belvedere, Wien) auf der zweiten Ausstellung der Wiener Secession als ernstzunehmender Schöpfer repräsentativer Bildnisse und als »Moderner« präsentierte, wandte er sich der eigenen Familie zu.

Helene Klimt
Im Porträt Helene Klimt (1898, Privatbesitz) stellte er seine damals sechsjährige Nichte im strengen Profil dar. Die Tochter seines 1892 verstorbenen Bruders Ernst und dessen Ehefrau Helene stand unter seiner Vormundschaft. Das Kind wirkt in dem Porträt wie eine junge Erwachsene, jeglicher Hinweis auf ihr junges Alter wird durch Haarschnitt und Kleidung getilgt. Die kastanienbraunen, glatten Haare rahmen das Gesicht und heben sich eindrucksvoll vom hellen Hintergrund und dem weiß-blau akzentuierten, hochgeschlossenen Kleid ab. Im Vergleich zu diesem Kinderbild wirkt das Pastell aus dem Jahr 1891, das entweder ihre Mutter oder ihre Schwägerin darstellt (Privatbesitz), weich und atmosphärisch.

Gustav Klimt hatte sich seit etwa 1896 mit dem malerischen Werk des belgischen Symbolisten Fernand Khnopff aber auch des britisch-amerikanischen Malers James McNeill Whistler auseinandergesetzt, deren Porträtschaffen für ihn außerordentlich wichtig wurde. So lernte er anhand der symbolistischen Werke sowohl mit kompositionellen Problemstellungen wie der Position der Figur im Bildraum, aber auch der atmosphärischen Malerweise umzugehen.

Sonja Knips
Zu den berühmtesten Porträts von Gustav Klimt zählt jenes von Porträt Sonja Knips (1897/98, Belvedere, Wien). In dem ersten quadratischen und mit 145 x 146 cm großformatigen Gemälde setzte Klimt Stil- und Kompositionsstrategien um, mit denen er sich ab etwa 1897 in kleinformatigen Ölgemälden wie Dame am Kamin (Dämmerung) (1897/98, Belvedere, Wien), Damenbildnis im Profil nach rechts (1897/98, Allen Memorial Art Museum, Oberlin, Ohio) und Allerlei Gesichter (Dame im Fauteuil) (1897/98, Privatbesitz) beschäftigt hatte. Alle genannten Bildnisse zeigen Frauen im strengen Profil nach rechts gedreht. Das tonale Kolorit wie auch die Maltechnik verweisen auf den Einfluss von James McNeill Whistler und dessen atmosphärisch-unscharfe Gestaltungsweise. Auch Sonja Knips ist in der Bildfläche rechts positioniert, allerdings mildert ihre Drehung aus dem Bild heraus das strenge Profil. Bereits den zeitgenössischen Kommentatoren fiel auf, dass durch die asymmetrische Komposition etwa die Hälfte der Bildfläche leer ist. Mithilfe des leeren Raums gelingt dem Maler eine spannungsvolle Gegenüberstellung der hell gekleideten Sonja Knips mit dem diffus gestalteten Hintergrund. Eine Folge ist, dass eine räumliche Verortung der Dargestellten unmöglich erscheint. Einzig die weißen und roten Lilien über ihrem Kopf könnten als ein Gartenausblick oder Wintergarten gedeutet werden.

Die Verbindung von Frau und Blume ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein gängiger Topos, wie unter anderem von Dante Gabriel Rosetti vorgeführt. Das in rotes Kalbsleder gebundene Skizzenbuch, das Klimt Sonja Knips als farbige Akzentuierung oder als Hinweis auf ihre Rolle als Mäzenin und Freundin des Künstlers in die Hand gibt, befindet sich heute im Besitz des Belvedere, Wien. Mit Sonja Knips schuf Gustav Klimt, wie schon dessen Freund Ludwig Hevesi 1903 feststellte, »das erste seiner modernen Frauenporträts«. Der schmale Rahmen, dessen Zierleiste von Gustav Klimts zweitem Bruder, dem Metallbildhauer Georg Klimt, ausgeführt wurde, basiert auf dem Konzept des Gesamtkunstwerks. Zu den Merkmalen der »modernen« Porträtauffassung zählt zudem die leere Fläche, welche so manchen Kommentator des Werks, darunter Carl Schreder vom Deutschen Volksblatt, vor den Kopf stieß:

»Das Damenporträt ist, was den Kopf selbst betrifft, sehr gut, doch die Behandlung der Hände und des Kleides erscheint uns etwas zu nachlässlich [!] und überdies: Warum wieder dieses gesuchte seitliche Hinsetzen der Figur rechts auf die Bildfläche und das Leerlassen der linken Seite?«

Serena Lederer
Mit Porträt Serena Lederer (1899, The Metropolitan Museum of Art, New York) schuf Gustav Klimt eine Darstellung von einer seiner treuesten Anhängerinnen. Die
26-jährige Kunstsammlerin und Ehefrau des Großindustriellen August Lederer war bereits im Aquarell Zuschauerraum im alten Burgtheater (1888, Wien Museum, Wien) von Klimt verewigt worden. Das 1899 entstandene und 1901 auf der »X. Kunstausstellung« der Wiener Secession erstmals präsentierte Gemälde zeigt Serena Lederer stehend in einem weißen Kleid vor weißem Hintergrund. Kontrastreich heben sich ihr dunkles, lockiges Haar, die buschigen Augenbrauen und die schwarz umrahmten Augen effektvoll ab. Klimt scheint von Anfang an gewusst zu haben, dass er Serena Lederer stehend malen wollte, denn in allen erhaltenen Zeichnungen ist die Dargestellte so gezeigt.

An diesen Vorstudien fällt vor allem die fließende, rhythmische Linie auf, mit der Gustav Klimt den fallenden Stoff einfangen wollte. Die Pose, allen voran das Arrangement der Schärpe des Kleides, erinnert an zeitgenössische Modefotografien, die Klimt neben repräsentativen Porträts der letzten Jahrzehnte als Inspirationsquelle gedient haben könnten. Im Vergleich zur Übertragungsskizze (Albertina, Wien) fällt auf, dass er den Schwung der Schleppe noch im letzten Moment geändert, noch dynamischer inszeniert haben muss. Das in Hellblau und Weiß gestaltete Kleid umfließt den Körper Serena Lederers, ohne ihn sichtbar werden zu lassen. Klimt deutet mithilfe der Robe – ähnlich der Handhaltung in dem Porträt Sonja Knips – eine Drehung der Dargestellten an.

Als das Porträt Serena Lederer auf der »X. Kunstausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession« präsentiert wurde, konnte es Friedrich Stern, Kritiker des Neuen Wiener Tagblattes, durch seine »feinste koloristische Wirkung« überzeugen. Allerdings mokierte sich der Rezensent über die »Schminke auf den Wangen«, die er bereits bei Klimts Nuda Veritas als völlig deplatziert empfand. In der Folge verweigerte August Lederer jede weitere Ausstellung von Porträts seiner Familienmitglieder, weshalb das Porträt Serena Lederer nur ein einziges Mal zu Lebzeiten Gustav Klimts der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Im Laufe von über zwanzig Jahren trug Serena Lederer die größte Klimt-Sammlung Wiens zusammen: Beginnend mit ihrem eigenen Porträt beauftragte sie den verehrten Maler zudem mit dem Porträt Elisabeth Lederer (1914–1916, Privatbesitz), das ihre Tochter, und Porträt Charlotte Pulitzer (1917, Verbleib unbekannt, seit Kriegsende 1945 verschollen) das ihre Mutter zeigt.

Trude Steiner
In den Jahren 1900 und 1901 wurde Gustav Klimt zwei Mal gebeten, verstorbene Familienmitglieder zu porträtieren. Das Porträt Hermann Flöge sen. auf dem Totenbett (1899/1900, Belvedere, Wien) folgt dem Typus des realistischen Abbildens des Verblichenen während der Aufbahrung. Das Bildnis von Porträt Trude Steiner (1900, Verbleib unbekannt) suggeriert hingegen, dass die im Alter von 13 Jahren verstorbene Tochter von Jenny Steiner noch zeit ihres Lebens verewigt wurde. Das seit dem Zweiten Weltkrieg verschollene Kniestück ist ähnlich gestaltet wie das Porträt von Serena Pulitzer Lederer. Trude Steiner steht en face in weißem Kleid vor hellem Hintergrund, ihre dunklen Haare heben sich vom atmosphärisch gestalteten Umraum ab. Ein Blumenstrauß in ihrer rechten Hand und die mit einer Masche gebändigten, aber über die Schultern frei fallenden Haare verdeutlichen die Jugendlichkeit des Modells. Sowohl in Komposition und Farbgebung ähnelt es James McNeill Whistlers Symphony in White No. 1: The White Girl (1862, National Gallery of Art, Washington, D.C.), das Klimt allerdings bis 1906 nur aus Schwarz-Weiß-Reproduktionen gekannt haben kann.

Literatur und Quellen

  • Tobias G. Natter (Hg.): Gustav Klimt. Sämtliche Gemälde, Wien 2012.
  • Fritz Novotny, Johannes Dobai (Hg.): Gustav Klimt, Salzburg 1975.
  • Alfred Weidinger (Hg.): Gustav Klimt, München - Berlin - London - New York 2007.
  • Tobias G. Natter, Gerbert Frodl (Hg.): Klimt und die Frauen, Ausst.-Kat., Oberes Belvedere (Wien), 20.09.2000–07.01.2001, Köln 2000.
  • Ludwig Hevesi: Acht Jahre Sezession (März 1897–Juni 1905). Kritik – Polemik – Chronik, Wien 1906.
  • Friedrich Stern: Die Ausstellungssaison, in: Neues Wiener Tagblatt, 16.03.1901.
  • Carl Schreder: Zweite Kunstausstellung der Wiener Secession, in: Deutsches Volksblatt (Morgenausgabe), 19.11.1898, S. 1-3.
  • Tobias G. Natter: Klimt and Szerena Lederer. Identity and Contradictory Realities of great Art, in: Tobias G. Natter (Hg.): Klimt and the Women of Vienna’s Golden Age. 1900–1918, Ausst.-Kat., Neue Galerie New York (New York), 22.09.2016–16.01.2017, London - New York 2016, S. 34-55.
  • Catherine Dean: Klimt, New York 1996.
  • Ludwig Hevesi: Feuilleton. Eine Klimt-Ausstellung (Sezession), in: Pester Lloyd, 18.11.1903, S. 2.
  • Marian Bisanz-Prakken: Im Antlitz des Todes, Gustav Klimts ‚Alter Mann auf dem Totenbett‘. Ein Porträt Hermann Flöges?“, in: Österreichische Galerie Belvedere (Hg.): Belvedere. Zeitschrift für Bildende Kunst, Heft 1 (1996), S. 20-39.
  • Marian Bisanz-Prakken: Gustav Klimt. Alter Mann auf dem Totenbett, in: Gerbert Frodl, Michael Krapf (Hg.): Neuerwerbungen: Österreichische Galerie Belvedere 1992-1999 : Meister von Heiligenkreuz bis Elke Krystufek, Ausst.-Kat., Oberes Belvedere (Wien), 15.09.1999–21.11.1999, Wien 1999.

Erste Landschaften

Gustav Klimt: Nach dem Regen (Garten mit Hühnern in St. Agatha), 1898, Österreichische Galerie Belvedere
© Belvedere, Wien

Gustav Klimt: Obstgarten, um 1898, Privatbesitz
© Leopold Museum, Wien

Klimt setzte sich ab dem Jahr 1897 kontinuierlich mit der Gattung der Landschaftsmalerei auseinander. Während die ersten Darstellungen noch im Stil des Stimmungsrealismus gehalten sind, werden die Landschaften Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend vom Impressionismus und Symbolismus geprägt.

1881/82 entstanden Klimts erste Naturstudien, die damals noch ganz dem in Österreich etablierten Stimmungsrealismus verpflichtet waren. Die nächsten bekannten Landschaften in Klimts Œuvre entstanden erst zehn Jahre später. Das vorwiegende Sujet dieser Zeit war der Obstgarten. Die Werke entstanden meist auf Klimts Sommerfrische Aufenthalten, 1897 in Fieberbrunn in Tirol und 1898 in St. Agatha in Oberösterreich.

Das vermutlich 1897 in Fieberbrunn geschaffene Landschaftsgemälde Der Sammetapfelbaum (1897, Verbleib unbekannt) ist heute verschollen. Über dessen Aussehen kann daher nur spekuliert werden. Hevesi beschreibt das Gemälde als kleine Landschaftsstudie, in der »jedes Zweiglein seine eigene Empfindung hat« und als eine Dämmerungslandschaft von Grau und Grün. Sicher ist jedenfalls, dass das Gemälde nach der abgebildeten Sommerapfelsorte – »Seidenapfel« auch »Rosenapfel« genannt – die durch ihre grüne Farbgebung charakterisiert ist, benannt wurde. Diese Annäherung Klimts an die symbolistische Stimmungslandschaft manifestiert sich zunehmend in den Gemälden der folgenden Jahre.

Das in Privatbesitz befindliche Bauernhaus mit Rosen (1897/98, Privatbesitz) ist nur in einer Schwarz-Weiß-Abbildung bekannt und zeigt die nordöstliche Fassade der Schmiede in St. Agatha. Klimt verbrachte dort 1898 die Sommerfrische gemeinsam mit der Familie Flöge. Gemeinsam mit Nach dem Regen (Garten mit Hühnern in St. Agatha) (1898, Belvedere, Wien), dem auf Karton ausgeführten Obstgarten (1898, Privatbesitz) und Obstgarten am Abend (1898, Privatbesitz) ist es eines der wenigen Landschaftsbilder von Klimt im schmalen Hochformat.

Die Malweise der 1897/98 entstandenen Obstgartenlandschaften in ihrer stimmungsvollen, flirrenden Verschwommenheit orientierte sich deutlich an Werken Fernand Khnopffs – dessen Gemälde unter anderem auf der I. Secessionsausstellung 1898 präsentiert wurden – sowie den Aufnahmen des Kunstfotografens Heinrich Kühne. Die offene Pinselführung erinnert teils an impressionistische, teils an pointilistische Malerei. Besonders das Phänomen der Farbreduktion bei Dämmerung im Obstgarten am Abend eignete sich, um dem Bild eine mystische Stimmung zu verleihen. In allen Landschaftsbildern dieser Zeit steht das Spiel von Licht und Schatten und die dadurch entstehenden, stark kontrastierenden Farbflächen im Fokus. Perspektive und Tiefenraum hingegen verlieren Zunehmend an Bedeutung.

Während die Malweise sich an den Innovationen der Symbolisten und Impressionisten orientierte, dürfte das für Landschaftsmalerei in Österreich ungewöhnliche Format sowie der hoch angesetzte Horizont auf die Darstellungstradition der japanischen Malerei zurückgehen. Klimt hatte sich nachweislich intensiv mit japanischer Kunst, insbesondere mit Holzschnitten, auseinandergesetzt. Die im oberen Bilddrittel angesetzte Horizontlinie steigerte dabei zunehmend die flächige, eindimensionale Wiedergabe der Landschaft. Diese teppichhafte, beinahe ornamentale Auffassung von Natur soll später in Klimts Bauerngartendarstellungen ihre Weiterführung finden.

Gustav Klimt: Ein Morgen am Teiche, 1899, Leopold Museum
© Leopold Museum, Wien

Klimts erste quadratische Landschaften
Der Sommeraufenthalt in Golling bei Hallein mit der Familie Flöge 1899 bot Klimt Gelegenheit zu weiteren Landschafts- und Tierbildern. Neben der Landschaft Ein Morgen am Teiche (1899, Leopold Museum, Wien), die den Egelsee in den frühen Morgenstunden zeigt, malte Klimt auch noch Kühe im Stall (1899, Lentos Kunstmuseum, Linz). Beide Werke zählen zu den ersten Naturdarstellungen Klimts im quadratischen Format, welches er fortan Zeit seines Lebens für dieses Genre beibehalten sollte. Wie ein Autograf von Klimt belegt, suchte sich der Maler diese quadratischen Bildausschnitte mit Hilfe eines sogenannten »Suchers«, einem Karton aus dem ein Sichtfenster herausgeschnitten worden war.

Ein Morgen am Teiche bildet das erste einer Reihe von Landschaftsbildern, in denen sich Klimt mit dem Sujet der Wasserspiegelung auseinandersetzte. Wiederum setzte Klimt den Horizont hoch im Bild an. Die Präferenz der Illusion der Welt durch eine Reflexion unterstreicht die Tendenz in Klimts Werk zur Abkehr von der naturalistischen Wiedergabe der Realität. Hatte sich Khnopff als Vorbild bereits in den Vorjahren herauskristallisiert, so wird nun das 1894 entstandene Gemälde des Belgiers Unbewegtes Wasser. Der Teich von Ménil (1894, Belvedere, Wien) als direktes kompositorisches Vorbild für Ein Morgen am Teiche überdeutlich. Auch Claude Monet spezialisierte sich auf eine solche Wiedergabe der Natur als Illusion. Von diesem dürfte Klimt die Idee des quadratischen Bildformats genauso übernommen haben wie den duftigen Pinselstrich mit dem er den Wellengang darstellte.

Fernand Khnopff: Unbewegtes Wasser. Der Teich von Menil, 1894, Belvedere, Wien
© Belvedere, Wien

Auf der »VII. Ausstellung« der Wiener Secession (1900) präsentierte sich Klimt neben dem Fakultätsbild Philosophie auch mit den Landschaften der letzten beiden Jahre. Während das Gemälde für die Universität Wien einen Kunstskandal entfachte, erwarb das Ministerium für Kultus und Unterricht Nach dem Regen (Garten mit Hühnern in St. Agatha). Dies macht deutlich, dass Klimt trotz seiner umstrittenen, modernen Allegorien als Landschaftsmaler weiterhin hoch geschätzt wurde.

Gustav Klimt: Der schwarze Stier, 1900, Privatbesitz
© Leopold Museum, Wien

Gustav Klimt: Am Attersee, 1900, Leopold Museum
© Leopold Museum, Wien

Inspirierender Attersee
Als Gustav Klimt zum ersten Mal auf Einladung der Familie Paulick im Jahr 1900 die Sommerfrische am Attersee verbrachte, entstanden vier Landschaften und die Tierdarstellung Der schwarze Stier (1900, Privatbesitz). Klimt mietete sich im Bräuhof Litzlberg ein, in dessen Umgebung die Landschaften dieses Jahres entstanden. Wiederrum werden die Kompositionen beherrscht von hohen Horizontlinien und impressionistischen, flächigen, farbenprächtigen Landschaftsteppichen.

Eine zwischen Symbolismus und Impressionismus angesiedelte Traumlandschaft – ähnlich dem im Vorjahr entstandenen Ein Morgen am Teiche – erfasste Klimt im Gemälde Der Sumpf, (1900, Privatbesitz). Wiederum lag der Fokus auf der Wiedergabe der Spiegelung der Umgebung in der Wasseroberfläche.

Im Gegensatz dazu befasste sich Klimt im Werk Am Attersee (1900, Leopold Museum, Wien) nicht mit der Spiegelung der Umgebung sondern mit der changierenden, schillernden Farbgebung und Beschaffenheit des Wassers. Die türkisen Wellen des Attersees sind in beinahe pointilistischer Manier in kurzen Strichen auf die silberne, reflektierende Wasseroberfläche gesetzt. Die Wiedergabe des Wassers nimmt als bewegte Farbfläche beinahe den gesamten Bildraum ein. Hevesi bemerkte dazu: »Ein Rahmen voll Seewasser, vom Attersee, nichts als kurze graue und grüne Wellen, die durcheinandergleiten.«  

In Bauernhaus mit Birken (1900, Privatbesitz) mit seinen einzelnen Baumstämmen in der grünen, flächigen Wiese greift Klimt formal auf Nach dem Regen (Garten mit Hühnern in St. Agatha) zurück.

Erst mit Die große Pappel I (1900, Neue Galerie New York, Estée Lauder Collection) begann Klimt seine Horizontlinie wieder zu senken und sich motivisch intensiv mit dem wolkenverhangenen Himmel auseinanderzusetzen. Die beinahe schon porträthafte Inszenierung von Pflanzen als Einzeldarstellungen, wie sie auch in Klimts Pappeldarstellung bereits spürbar wird, entwickelte der Künstler acht Jahre später in seinem figural interpretierten Gemälde Sonnenblume (1907/08, Belvedere, Wien) – das als Landschaftsporträt von Emilie Flöge gilt – zur Höchstblüte.

Literatur und Quellen

  • Alfred Weidinger (Hg.): Gustav Klimt, München - Berlin - London - New York 2007.
  • Agnes Husslein-Arco, Alfred Weidinger (Hg.): Gustav Klimt 150 Jahre, Ausst.-Kat., Oberes Belvedere (Wien), 13.07.2012–27.01.2013, Wien 2012.
  • Tobias G. Natter, Elisabeth Leopold (Hg.): Gustav Klimt. Die Sammlung im Leopold Museum, Wien 2013.
  • Sandra Tretter, Hans-Peter Wipplinger (Hg.): Gustav Klimt. Jahrhundertkünstler, Ausst.-Kat., Leopold Museum (Museums Quartier, Wien), 22.06.2018–04.11.2018, Wien 2018.
  • Tobias G. Natter (Hg.): Gustav Klimt. Sämtliche Gemälde, Wien 2017.
  • Sandra Tretter, Peter Weinhäupl: Treffpunkt Villa Paulick, in: Sandra Tretter, Peter Weinhäupl (Hg.): Gustav Klimt. Sommerfrische am Attersee 1900-1916, Wien 2015, S. 14-17.
  • Alexandra Matzner: Gemalte Gärten. Gustav Klimt und das Gartenbild der Jahrhundertwende, in: Sandra Tretter, Peter Weinhäupl (Hg.): Gustav Klimt. Florale Welten, Wien 2019.
  • Ludwig Hevesi: Acht Jahre Sezession (März 1897–Juni 1905). Kritik – Polemik – Chronik, Wien 1906, S. 235.
  • Brief von Gustav Klimt am Attersee an Maria Zimmermann in Wien, mit skizziertem Motivsucher (circa 08/03/1902). S64/17.
  • Stephan Koja: Die Sommer in Litzlberg, in: Stephan Koja (Hg.): Gustav Klimt. Landschaften, Ausst.-Kat., Oberes Belvedere (Wien), 23.10.2002–23.02.2003, München 2002, S. 64-70.
  • Ostdeutsche Rundschau, 13.03.1900, S. 7.
  • Ostdeutsche Rundschau, 15.03.1900, S. 8.
  • N. N.: Kunst=Ausstellung, in: Wiener Zeitung, 15.03.1900, S. 8.

Fakultätsbilder. Die Philosophie

Gustav Klimt: Die Philosophie (Entwurf), 1898, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt
© Galerie Welz

Das Fakultätsbild Die Philosophie markiert Gustav Klimts endgültigen Bruch mit der akademischen Tradition und seine Hinwendung zum Symbolismus. Im Jahr 1900 wurde das Gemälde erstmals ausgestellt und sorgte für einen Skandal. Nach zahlreichen Änderungen und Ergänzungen bis 1907 verbrannte das Werk 1945 in Schloss Immendorf.

Genese des Monumentalwerks
Klimt zeichnete bereits seit der Auftragserteilung 1894 vorbereitende Skizzen und Studien für die Deckenbilder des Festsaals der k. k. Universität Wien, jedoch intensivierte er seine Arbeit besonders ab 1897 und 1898. Im sogenannten Skizzenbuch der Sonja Knips sind rund 26 Kompositionsskizzen überliefert, die sich dem Fakultätsbild Die Philosophie (1900–1907, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt) zuordnen lassen. Ebenfalls enthalten sind mehrere Skizzen für den gemalten Entwurf Die Jurisprudenz (1897/98, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt) und Die Medizin (1900–1907, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt).

Neben zahlreichen Einzelstudien und Kompositionsskizzen entstanden zudem in Öl gemalte Entwürfe, die am 26. Mai 1898 in einer »Kunstcommissionssitzung« des akademischen Senats und der artistischen Kommission der k. k. Universität Wien sowie dem k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht begutachtet wurden. Bereits vor der Begutachtung erschien im März-Heft des Ver Sacrum eine Reproduktion mit dem Titel »Entwurf für ein Deckengemälde ›Hygiea‹«. Der gemalte Entwurf für Die Medizin ist erhalten (1898, The Israel Museum, Jerusalem), jene für Die Jurisprudenz und Die Philosophie verbrannten allerdings beide 1945 in Schloss Immendorf und sind nur fotografisch dokumentiert.

Gustav Klimt: Sitzende Frau. Studie zur Ölskizze für »Die Philosophie«, 1897/98, Albertina
© ALBERTINA, Wien

Bei der Sitzung wurden Franz Matschs Entwürfe für die Deckenbilder Sieg des Lichts über die Finsternis und Theologie akzeptiert, während es zu Klimts Entwürfen einige Einwände gab. So sollte zum Beispiel Die Philosophie deutlicher ausgeführt bzw. heller beleuchtet werden. Besonders wichtig war auch der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit von Matsch und Klimt, der für eine harmonischere Gesamtwirkung des Deckenprogramms sorgen sollte. Verbittert über die Beanstandungen wollte Klimt eigentlich von dem Auftrag zurücktreten, willigte den Änderungen jedoch unter »Wahrung der künstlerischen Freiheit« am 3. Juni 1898 zu. Infolgedessen teilte das Unterrichtsministerium Matsch und Klimt die Genehmigung und Auszahlung des vertraglich vereinbarten zweiten Honorarbetrags unter der Voraussetzung mit, »[…] dass die Ihnen im kurzen Wege bekannt gegebenen Wünsche dieser beiden Commissionen [!] bei der Ausführung der Bilder entsprechend berücksichtigt werden […]«.

Da sich der Entstehungsprozess über einen langen Zeitraum erstreckte, manifestierte sich in Klimts umfangreichen Änderungen und Ergänzungen der Fakultätsbilder auch seine künstlerische Entwicklung hin zum Symbolismus. Bei Studien der Personifikation des Wissens (1897/98, Albertina, Wien, S 1980: 455; 1897/98, Wien Museum, S 1980: 456), die er im gemalten Entwurf Der Philosophie in die rechte untere Ecke setzte, rezipierte Klimt wohl Auguste Rodins berühmten Denker (1880/82). Über der Figur erscheinen zwei Köpfe einer vierköpfigen Sphinx, deren Vorbild vermutlich eine Marmorskulptur (2. Jh. n. Chr.) aus der Antikensammlung des k. k. Hofmuseums (heute: Kunsthistorisches Museum) war, die er auch in der Supraporte Die Musik (1897/98, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt) für das Palais Dumba darstellte. Kaum sichtbar positionierte Klimt einen Philosophen gegenüber der Personifikation des Wissens und darüber ein gen Himmel schwebendes Menschenpaar. Diese Interpretation der Fakultät führte zu den geforderten Änderungswünschen der Auftraggeber.

Galerie

Einzelseiten aus dem Roten Skizzenbuch

  • Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien
  • Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien
  • Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien
  • Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien
  • Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien

Gustav Klimt: Die Philosophie (Übertragungsskizze), 1900, Wien Museum
© Wien Museum

Moriz Nähr: Die Philosophie, um 1900, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, aus dem Nachlass von Moriz Nähr
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek

In der Übertragungsskizze von Die Philosophie (1900, Wien Museum, S 1980: 477) entwickelte Klimt die Komposition um 1899 weiter. Er rückte das stark beschnittene Wissen in die Mitte des unteren Bildrandes, räumte dadurch der Sphinx in Untersicht deutlich mehr Raum ein und verdichtete den Menschenstrom durch weitere Aktfiguren. Der Journalist Alfred Deutsch-German besuchte Klimt im September 1899 in seinem Atelier in der Josefstädter Straße und beschrieb das Werk:

»Von der Philosophie ist die Bleistiftskizze eben begonnen worden. Ein Gewirr von Strichen, keine feste Form verrathend [!], läßt sie dem Beschauer räthselhaft [!] erscheinen. Es bedarf der Erläuterung. Dämmernd, im Azur verschwimmend, taucht nebelhaft die Allmutter hinter dem Erdball auf. Entstehen und Vergehen der Geschlechter, Sein und Werden soll durch allegorische Figuren gedeutet werden. Fest und greifbar sitzt zu Füßen der Erscheinung die Wissenschaft im Lehnstuhl.«

Ausführung der Philosophie. Erste Fassung
Da Klimts Atelier in der Josefstädterstraße 21 nicht über die entsprechende Raumhöhe für die Ausführung der 4,3 x 3 Meter großen Fakultätsbilder verfügte, mietete er ein provisorisches Atelier an. Es befand sich im 4. Stock der Tischlerei und Möbelfabrik Ludwig Schmitt in der unweit gelegenen Florianigasse 54.

Klimt arbeitete an der ersten Fassung des Fakultätsbilds Die Philosophie bis das Gemälde im März 1900 erstmals in der »VII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession« öffentlich präsentiert wurde. In der ersten Auflage des dazugehörigen Katalogs wurde das Werk wie folgt beschrieben:

»Die Philosophie. Eines der fünf allegorischen Deckenbilder für die Aula der Universität. Linke Figurengruppe: Das Entstehen, das fruchtbare Sein, das Vergehen. Rechts: Die Weltkugel, das Welträtsel. Unten auftauchend eine erleuchtete Gestalt: das Wissen.«

Das von Moriz Nähr in diesem Zustand fotografierte Gemälde erschien 1900 als Reproduktion im Ver Sacrum. Im Vergleich zu dem gemalten Entwurf und der Übertragungsskizze taucht das Wissen im ausgeführten Werk in Form eines erleuchteten Kopfes am unteren Bildrand auf und blickt in starrer Frontalität aus dem Bild. Der Menschenstrom im linken Bildbereich besteht aus nackten Personen in unterschiedlichen Lebensstadien und Körperhaltungen. Die Sphinx erscheint aus einer nebulosen Sphäre, die Zeitgenossen als »unscharf changierendes, violett-grünes Universum« beschrieben. Die in der Schwarz-Weiß-Fotografie weiß wirkenden Farbakzente waren im Original vergoldete Sterne. Die Sphinx galt in der griechischen Mythologie als Dämon von Unheil und Zerstörung, mit der die europäischen Symbolisten in ihren Werken der 1890er Jahre öfters Rätselhaftigkeit visualisierten. Klimt stellte sich mit seiner Sphinx als Symbol des »Welträtsels« somit in die Tradition von bedeutenden Zeitgenossen wie Fernand Khnopff und Jan Toorop, deren Werke er aus Ausstellungen und Kunstzeitschriften kannte.

Kunstskandal: »Der Fall Klimt«
Die Philosophie wurde erstmals im Rahmen der »VII. Ausstellung« der Wiener Secession gezeigt, die am 8. März 1900 eröffnete. Das Gemälde hing im Hauptsaal der Ausstellungsräume und löste einen regelrechten Skandal aus, der auch international für Aufregung sorgte. Die Kritiker bemängelten bei Klimts ungewöhnlicher Interpretation der philosophischen Fakultät vor allem das Fehlen einer klaren Formen- und Bildsprache und die dadurch resultierende Unlesbarkeit. Ohne die Erklärung im Ausstellungskatalog war die von der klassischen Ikonographie abweichende Motivwahl für das Publikum weitgehend unverständlich. Dabei veranschaulichte Klimts symbolistische Bildsprache seine Entwicklung vom historistischen Ausstattungskünstler zum österreichischen Hauptvertreter der Moderne. »Der Fall Klimt« füllte Ende März 1900 tagelang die Feuilleton-Seiten der Presse und Die Philosophie wurde in Karikaturen und satirischen Beiträgen verspottet.

Galerie

Zeitgenössische Karikaturen des Fakultätsbildes »Die Philosophie«

  • Theodor Zasche: Parodie auf Gustav Klimts Gemälde »Die Philosophie«, in: Illustrirtes Wiener Extrablatt, 10.04.1900.
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Theodor Masche: Klimt's Philosophie, in: Der Floh, 01.04.1900.
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Secession! Kikeriki-Copien aus der jüngsten Ausstellung, in: Kikeriki. Humoristisches Volksblatt, 05.04.1900.
    © Klimt-Foundation, Wien

Emil Reisch, Franz Exner, Friedrich Jodl: Rundschreiben von Franz Exner, Friedrich Jodl und Emil Reisch, betreffend eine Petition der Universitätsprofessoren gegen die Anbringung des Fakultätsbildes „Die Philosophie“, 24.03.1900, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv (AVA), Ministerium für Kultus und Kultur
© Österreichisches Staatsarchiv, Wien

Der Skandal kulminierte in einer Petition der Universitätsprofessoren, angeführt von Franz Exner, Friedrich Jodl und Emil Reisch, die nach wenigen Tagen rund 70 »zustimmende Erklärungen« erhielt und unbeabsichtigt in »entstellter Form« an die Öffentlichkeit geriet. Die Professoren traten gegen die Anbringung des Gemäldes an seinem Bestimmungsort ein und meinten:

»Wir haben es einzig und allein mit dem einen Bilde zu thun [!] und mit der einen Frage, ob der Künstler damit die ihm gestellte Aufgabe in befriedigender Weise gelöst hat oder nicht. Wir haben weder ein allgemeines Urtheil [!] über die Kunstrichtung, der das Bild zugerechnet werden will, abzugeben, noch fällt es uns bei, das Gesammtschaffen [!] oder die künstlerische Persönlichkeit Klimts anzutasten.«

Hauptkritikpunkte waren Klimts Wahl die Philosophie als »das Welträthsel [!], Entstehen und Vergehen und das Wissen« darzustellen, was ihm laut Professoren nicht auf eine verständliche Weise gelang, sowie die unpassende und uneinheitliche Komposition, die der Architektur der Aula nicht entsprach. Auch Karl Kraus äußerte sich zu der Affäre:

»Und seine Philosophie könnte ja, wenn er nur den Titel ändern will, noch anderweitige Verwendung finden. An die Decke der Aula gehört sie schon deshalb nicht, weil Herr Klimt sich nicht dem Matsch‘schen Entwurf des Mittelbildes anbequemt hat.«

Minister Wilhelm von Hartel verhielt sich als Auftraggeber in seiner Reaktion abwartend. Die Secessionisten verteidigten ihren Gründungspräsidenten Klimt, indem sie am 27. März 1900 einen Lorbeerkranz vor dessen umstrittenes Werk legten. Es folgte eine Gegenpetition einiger Universitätsprofessoren – darunter u.a. Prof. Dr. Wickhoff, Emil Zuckerkandl und Edmund Bernatzik – die den Professoren die Kompetenz absprachen, »[…] die Entscheidung in einer rein künstlerischen Frage zu beeinflussen […].«.

Noch vor dem Ausstellungsende in der Secession wurde Die Philosophie am 2. April 1900 nach Paris gesendet. Hier war die Wiener Secession in der Österreichischen Abteilung der »Weltausstellung« mit einem Raum betraut worden, in dem das Monumentalwerk ab 12. Mai 1900 präsentiert wurde. Die Ausstellungsjury prämierte es mit einer von zwanzig Goldmedaillen, dem »Grand Prix« für die Abteilung Malerei.

Einblick in die Pariser Weltausstellung, Mai 1900 - November 1900
© Universitätsbibliothek Heidelberg

Auch international erhielt Klimt teilweise harte Kritik. Die Allgemeine Zeitung erachtete diese Preisverleihung als überraschend und kommentierte Die Philosophie als:

»[…] ganz unbegreifliche symbolistische Malerei […] Dieser Knäuel nackter Figuren, zwischen denen gespenstische Fratzen auftauchen, jagt das Publikum in die Flucht.«

Die Wage publizierte 1900 Interviews von Klimt, Carl Moll sowie von Mitgliedern des Kunstrates des Unterrichtsministeriums und der philosophischen Fakultät, wobei sich Klimt rechtfertigte und weiter erklärte:

»Das Bild müßte erst neben dem großen Mittelgemälde und seinem Gegenstück, der ›Medicin‹, gesehen werden. […] Es ist nicht ausgeschlossen, daß [!] ich nach seiner Rückkunft aus Paris nicht noch Aenderungen daran vornehme. Aber ich werde mich zu solchen niemals im Widerspruch mit meinen künstlerischen Ueberzeugungen [!] zwingen lassen.«

Literatur und Quellen

  • Alice Strobl: Die Fakultätsbilder »Medizin« und »Philosophie«, in: Alfred Weidinger (Hg.): Gustav Klimt, München - Berlin - London - New York 2007, S. 41-53.
  • F. V.: Paris, in: Allgemeine Zeitung (München), 11.06.1900, S. 2.
  • Karl von Vicenti: Wiener Frühjahr-Ausstellungen. Secession, in: Die Kunst für Alle. Malerei, Plastik, Graphik, Architektur, 15. Jg. (1899/1900), S. 368-372, S. 396.
  • Alfred Deutsch-German: Im Atelier Gustav Klimmt's, in: Neues Wiener Journal, 01.10.1899, S. 4.
  • Markus Fellinger, Michaela Seiser, Alfred Weidinger, Eva Winkler: Gustav Klimt im Belvedere. Vergangenheit und Gegenwart, in: Agnes Husslein-Arco, Alfred Weidinger (Hg.): Gustav Klimt 150 Jahre, Ausst.-Kat., Oberes Belvedere (Wien), 13.07.2012–27.01.2013, Wien 2012, S. 31-281.
  • N. N.: Der Kampf um die "Philosophie". Interviews, in: Die Wage. Wiener Wochenschrift, 3. Jg., Heft 14 (1900), S. 224-225.
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 3 (1898), S. 3.
  • Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession (Hg.): Ver Sacrum. Mitteilungen der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 3. Jg., Heft 10 (1900), S. 150.
  • Abschrift eines Briefes vom k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht an Franz Matsch und Gustav Klimt (07/07/1898). S102.3616.3, Archiv der Universität Wien.
  • Abschrift des Akademischen Senats der k. k. Universität Wien von einem Brief des k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht an das Rektorat der k. k. Universität Wien mit einer Notiz für die Artistische Comission (05/21/1898). S102.3222.3, Archiv der Universität Wien.
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Katalog der VII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession, Ausst.-Kat., Secession (Wien), 09.03.1900–06.06.1900, 1. Auflage, Wien 1900.
  • Rundschreiben von Franz Exner, Friedrich Jodl und Emil Reisch, betreffend eine Petition der Universitätsprofessoren gegen die Anbringung des Fakultätsbildes „Die Philosophie“ (03/24/1900). AT-OeStA/AVA Unterricht Präsidium Akten 266, Zl. 1.126/1900 fol. 3-6, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv (AVA).
  • Karl Kraus: Klimt, in: Die Fackel, 1. Jg., Heft 36 (1900), S. 16-20.
  • Gegenpetition der Professoren der k. k. Universität Wien an das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht in Wien (presumably late March 1900). AT-OeStA/AVA Unterricht Präsidium Akten 266, Zl. 1.126/1900 fol. 15, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv (AVA).
  • Petition der Professoren der k. k. Universität Wien an das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht in Wien (05/05/1900). AT-OeStA/AVA Unterricht Präsidium Akten 266, Zl. 1.126/1900 fol. 7-14, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv (AVA).
  • N. N.: Der Protest gegen Klimt's "Philosophie", in: Neue Freie Presse (Abendausgabe), 27.03.1900, S. 1.
  • Die Wage. Wiener Wochenschrift, 3. Jg., Heft 14 (1900).

Ver Sacrum und Skandalplakat

Logo der Vereinigung bildender Künstler Österreichs - Ver Sacrum, 1897
© Klimt-Foundation, Wien

Kolo Moser: Vignette aus dem ersten Ver Sacrum-Heft, 1898
© Klimt-Foundation, Wien

Als erster Präsident der Wiener Secession prägte Gustav Klimt die Ausrichtung der neuen Vereinigung maßgeblich. Er gestaltete das zensierte Plakat der »I. Kunst-Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs«, stellte neben internationalen Avantgarde-Künstlern in dieser aus und lieferte Beiträge für die bahnbrechende Vereinszeitschrift Ver Sacrum.

Der Wunsch nach künstlerischer Erneuerung führte in den 1890er Jahren in ganz Europa zur Gründung avantgardistischer Künstlervereinigungen, wobei sich die aufsprießenden Ideen der Moderne sowohl über das internationale Ausstellungswesen der »Secessionen«, als auch über Kunstzeitschriften verbreiteten. In Wien zählten zu den bekanntesten Gründungsmitgliedern der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession neben Gustav Klimt auch Josef Hoffmann, Kolo Moser, Carl Moll und Joseph Maria Olbrich. Dabei wurde Klimt 1897 zum ersten Präsidenten, Moll zum Vizepräsidenten und der bereits 85jährige Rudolf von Alt zum Ehrenpräsidenten gewählt. Die Secession sah sich als Interessensvertretung moderner Künstler und trat vor allem für die »Neubelebung des Wiener Kunsttreibens«, die Vermittlung internationaler Kunst und die Freiheit des künstlerischen Schaffens ein. Im Fokus stand dabei das Gesamtkunstwerk, bei dem das Kunsthandwerk neben der Malerei, Bildhauerei und Architektur eine gleichberechtigte Rolle erhalten sollte.

Programmatik im Vereinsorgan Ver Sacrum
Bereits in der Generalversammlung am 21. Juli 1897 wurde beschlossen, das Vereinigungsorgan Ver Sacrum herauszugeben. Die Kunstzeitschrift erschien ab Jänner 1898 im Verlag Gerlach & Schenk, wobei im ersten Heft die Beweggründe für die Herausgabe folgendermaßen formuliert wurden:

»Die beschämende Thatsache [!], dass Österreich kein einziges, auf weiteste Verbreitung berechnetes, seinen besonderen Bedürfnissen angepasstes, illustriertes Kunstblatt besitzt, machte es bisher den Künstlern unmöglich, ihre Kunstbestrebungen in weitere Kreise zu tragen. […] Diese Zeitschrift soll, als Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, ein Aufruf an den Kunstsinn der Bevölkerung sein, zur Anregung, Förderung und Verbreitung künstlerischen Lebens und künstlerischer Selbständigkeit.«

Für die Redaktion war Alfred Roller zuständig, im literarischen Beirat waren Hermann Bahr und Max Burckhard. Letzterer verfasste im ersten Heft ein Eröffnungsessay, in dem er die Namenswahl der Vereinigung mit dem römischen Brauch der »secessio plebis« – dem Ausmarsch des einfachen Volkes, einer Machtdemonstration zur Umsetzung politischer Forderungen gegenüber den Patriziern – erklärte. Weiters erläuterte er den Zeitschriftentitel Ver Sacrum: Der »Heilige Frühling« verweist ebenfalls auf eine römische Tradition, bei der die im Frühling Geborenen, sobald sie herangewachsen waren, »in die Fremde ziehen mussten, um ein neues Gemeinwesen zu gründen aus eigener Kraft, mit eigenen Zielen.«

Galerie

Ver Sacrum, 1. Jg., Heft 1 (1898)

  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
    © Klimt-Foundation, Wien

Die Zeitschrift avancierte nicht nur aufgrund der programmatischen Inhalte zu einem der bedeutendsten Kunstmagazine der Zeit, auch die innovative grafische Gestaltung spiegelte die Formensprache des Jugendstils und der aufblühenden Wiener Flächenkunst. Gustav Klimt schuf ab dem ersten Jahrgang einige Illustrationen, Vignetten und Initialen für Ver Sacrum, die ebenfalls seine künstlerische Neuorientierung und den Einfluss des Symbolismus auf sein Werk verdeutlichten. Neben Klimts Buchschmuck wurden in der Zeitschrift auch zahlreiche Gemälde, Zeichnungen und Blätter reproduziert, die seine zeitgleich entstandenen Arbeiten dokumentierten.

Plakatentwurf, in: Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 3 (1898).
© Klimt-Foundation, Wien

Gustav Klimt: Plakatentwurf für die I. Secessionsausstellung, unzensierte Version, 1898, Klimt-Foundation, Wien
© Klimt-Foundation, Wien

Gustav Klimt: Plakatentwurf für die I. Secessionsausstellung, zensierte Version, 1898, Klimt-Foundation, Wien
© Klimt-Foundation, Wien

Plakat für die erste Ausstellung
Da die Secession zu Beginn noch kein eigenes Ausstellungsgebäude hatte, fand die »I. Kunst-Ausstellung« in den Blumensälen der k. k. Gartenbaugesellschaft am Parkring statt. Die Ausstellungsarchitektur gestalteten Hoffmann und Olbrich unter Mithilfe des »Decorations-Comités«, die am 1. März 1898 mit der Adaptierung der Räumlichkeiten begannen. Beworben wurde die Ausstellung mit einer Voranzeige, da das von Klimt gezeichnete Plakat »erst unmittelbar vor der Eröffnung der Ausstellung affichirt werden« sollte. Franz Xaver von Gayrsperg beschrieb am 25. März die nicht erhaltenen Voranzeige-Plakate mit »drei grünen Schildern, welche die grüne Kunst der ›Jungen‹ oder das Hoffnungsgrün in den drei bildenden Künsten symbolisieren sollen«.

Klimt bereitete zwei unterschiedliche Entwürfe für das erste Ausstellungsplakat vor, die beide einen großen Leerraum aufwiesen und im März-Heft des Ver Sacrum publiziert wurden. Bei der verworfenen Plakatskizze zeichnete Klimt eine frontalansichtige, lorbeerbekränzte und geflügelte Figur im oberen Bereich, der durch eine sich über die die leere Fläche windende Schlange mit dem Schriftfeld für die Ausstellungsankündigung verbunden ist.

Bei einem weiteren Plakatentwurf nutzte Klimt ebenfalls einen radikalen Bildaufbau, dessen architektonisch anmutende Gliederung in Bild- und Textfelder die leere Fläche betonte. Neben antikisierender Typografie griff er auch auf mythologische Gestalten zurück. In dem Bildfries über dem Gesims stellte Klimt den Kampf des nackten Helden Theseus gegen Minotaurus dar. Am rechten Bildrand erscheint Pallas Athene, die als Göttin der Weisheit, der Strategie, des Kampfes, der Künste und des Handwerks, mit Speer, Helm und dem unheilabwehrenden Gorgoneion-Schild über der symbolhaften Kampfszene der Secession gegen das Künstlerhaus wacht. Die polemische Rhetorik der Secessionisten prägte somit nicht nur die Beiträge des Ver Sacrum, sondern setzte sich im Medium des Plakats fort. Theseus rettete die Opfer vor dem Minotaurus und die Secession befreite sich von den Zwängen des Künstlerhauses, um in den »Heiligen Frühling« aufzubrechen und ihre künstlerische Überlegenheit zu demonstrieren.

»Ein heiteres Censurstückchen« und »Politische Botanik«
In der Reinzeichnung (1898, Wien Museum, S 1980: 327) für das Plakat ergänzte Klimt nun die Ausstellungsankündigung, setzte die Inschrift VER SACRUM THESEUS UND MINOTAURUS direkt neben die Kampfszene und verdeckte Theseus‘ nacktes Geschlecht mit einem Blatt. Das Plakat ist in dieser Version als dreifarbige Lithografie in Schwarz, Rot und Gold sowie als Titelbild des Ausstellungsheftes des Ver Sacrum, das für Mai bis Juni 1898 erschien, überliefert.

Aufgrund des Pressegesetzes unterlagen Plakate – im Vergleich zu Druckschriften – einer Vorzensur, die die vermutlich bereits in der Lithographischen Anstalt Albert Berger gedruckten Plakate noch vor der Ausstellungeröffnung beanstandete. Der Zensurfall konnte bisher nicht aktenkundig belegt werden, jedoch lieferten einige Pressestimmen ironische Kommentare. Ludwig Hevesi schrieb am 25. März im Pester Lloyd:

»Dieser Theseus nun erschien der Zensur zu unbekleidet! Zwar war er mit einem ganz vorschriftmäßigen Feigenblatt versehen, aber sogar dieses Feigenblatt erschien der keuschen Zensur anstößig und sie inhibierte das Plakat.  […] Und Klimt war genöthigt [!], ein paar dicke Bäume vor den Theseus hinzumalen.«

Die Ostdeutsche Rundschau kommentierte die Tatsache, dass Klimt »über die bereits gedruckte Kampfszene geschwind ein paar Bäume wachsen zu lassen« hatte als »Politische Botanik« und Das Vaterland die Zensur als »kleines Malheur«. Die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung schrieb die »Confiszierung« dem Pressestaatsanwalt Dr. Bobies zu und meinte:

»Die Sezessionisten sind nämlich auch solche Schweinkerle, die den einfachen Anstand verletzten und ein Pferd ohne Hose malen. […] Vielleicht nimmt sich der Herr Dr. Bobies einmal die Mühe, den Katalog des Kunsthistorischen Museums zu revidieren. Er wird haarsträubende Sachen finden, viel ärger als das Plakat der Sezessionisten.«

Die Ausstellung konnte schließlich mit den zensierten Plakaten beworben werden, bei denen Bäume die Nacktheit bzw. das Feigenblatt des Theseus verdeckten. Dabei wurden vermutlich die bereits gedruckten Lithografien mit den Baumstämmen überdruckt. Der in der Literatur tradierte Skandal sorgte demnach bei den Zeitgenossen wohl eher für Unterhaltung als Aufregung.

Franz Holluber: Plakatwand am Karlsplatz mit dem 1. Secessionsplakat, 1898, Wien Museum
© Wien Museum

Blumensäle der k. k. Gartenbaugesellschaft am Parkring 12, 1904
© Wien Museum

Rudolf Bacher: Kaiser Franz Joseph besucht die erste Ausstellung der Wiener Secession in der Gartenbaugesellschaft, 1898, Wien Museum
© Wien Museum

Kaiserbesuch
Die »I. Kunst-Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession« fand in den adaptierten Blumensälen der k. k. Gartenbaugesellschaft am Parkring statt und eröffnete am 26. März 1898. Klimts Plakat-Figur der Pallas Athene fand am Einband des hochformatigen Ausstellungskatalogs eine weitere Verwendung. Darin wurde zudem ein gekürzter Text aus dem dritten Heft des Ver Sacrum als Vorwort verwertet, der die Ziele formulierte:

»[…] dem Publicum eine Elite-Ausstellung specifisch moderner Kunstwerke zu bieten. Die Absicht, kleine gewählte Ausstellungen zu veranstalten, war einer der leitenden Gedanken bei Begründung unserer neuen Vereinigung. […] Auch auf dem Gebiete des künstlerischen Arrangements soll unsere Ausstellung für Wien bahnbrechend wirken.«

Am Vormittag des 5. Aprils 1898 besuchte sogar Kaiser Franz Joseph I. die Ausstellung und sprach seine Anerkennung für die interessante Präsentation aus, in der neben den Österreichern auch internationale Künstler wie Auguste Rodin, Fernand Khnopff, Giovanni Segantini und Constantin Meunier vertreten waren. Klimt bat den Kaiser nach seinem Besuch in einem Brief um »eine gütige Fürsprache […] durch den Ankauf von Kunstwerken […]«, der im Juni durch das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht auch Folge geleistet wurde.

Die Rolle als Präsident der Vereinigung dürfte Klimt zeitlich sehr beansprucht haben. So sagte er zum Beispiel im April 1898 einmal den gemeinsamen Französischunterricht mit Emilie Flöge ab und schrieb ihr:

»[…] habe Sitzung – eckelhaft [!]. […] so lange ich die Präsidentschaft nicht los habe ist leider keine Aussicht auf Besserung.«

Literatur und Quellen

  • Marian Bisanz-Prakken (Hg.): Heiliger Frühling. Gustav Klimt und die Anfänge der Wiener Secession 1895–1905, Ausst.-Kat., Albertina (Wien), 16.10.1998–10.01.1999, Wien 1999.
  • Franz Xaver von Gayrsperg: Ausstellungs-Introduktionen. Sezession und Künstlerhaus, in: Neuigkeits-Welt-Blatt, 25.03.1898, S. 10.
  • Alexander Klee: Gustav Klimt, in: Stella Rollig, Tobis G. Natter (Hg.): Klimt und die Antike. Erotische Begegnungen, Ausst.-Kat., Unteres Belvedere (Wien), 23.06.2017–08.10.2017, München 2017, S. 90-99.
  • Ursula Storch: 1. und 2. Ausstellung der Secession 1898, in: Ursula Storch (Hg.): Klimt. Die Sammlung des Wien Museums, Ausst.-Kat., Wien Museum (Wien), 16.05.2012–07.10.2012, Wien 2012, S. 134-137.
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Erster Jahresbericht der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession, Wien 1899.
  • Oskar Pausch: Gründung und Baugeschichte der Wiener Secession. Mit Erstedition des Protokollbuches von Alfred Roller, Wien 2006.
  • N. N.: Secession, in: Wiener Zeitung, 15.06.1898, S. 5.
  • N. N.: Politische Botanik, in: Ostdeutsche Rundschau, 08.04.1898, S. 5.
  • Brief der Vereinigung bildender Künstler Österreichs an den Kabinettsdirektor Kaiser Franz Josephs I, unterschrieben von Gustav Klimt als Präsident (04/07/1898). ÖStA/HHStA GDPFF Zl. 1403/1898_1, Österreichisches Staatsarchiv, Haus Hof und Staatsarchiv (HHStA).
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 1 (1898).
  • N. N.: Von der Sezession, in: Arbeiter-Zeitung, 02.03.1898, S. 6.
  • N. N.: Von der Secession, in: Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie, 25.03.1898, S. IV.
  • Neue Freie Presse, 25.03.1898, S. 8.
  • Ludwig Hevesi: Die Sezession in Wien, in: Pester Lloyd, 25.03.1898, S. 2.
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Katalog der I. Kunstausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, Ausst.-Kat., Blumensäle der k. k. Gartenbaugesellschaft (Wien), 26.03.1898–20.06.1898, Wien 1898.
  • N. N.: Der Kaiser in der Secessionisten-Ausstellung, in: Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie, 05.04.1898, S. 3.
  • Rohrpost-Kartenbrief von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Wien (04/26/1898). RL 2601, Leopold Privatsammlung.
  • Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession (Hg.): Ver Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 1. Jg., Heft 5/6 (1898).
  • Austrian Posters. Beiträge zur Geschichte der visuellen Kommunikation. www.austrianposters.at/2018/04/14/zensurfall-gustav-klimt/ (01.09.2022).
  • Bernhard Denscher: Zensurfall Klimt. Austrian Posters. Beiträge zur Geschichte der visuellen Kommunikation. www.austrianposters.at/2018/04/14/zensurfall-gustav-klimt/ (01.09.2022).

Ausstellungsbeteiligungen

Gustav Klimt: Plakatentwurf für die I. Secessionsausstellung, zensierte Version, 1898, Klimt-Foundation, Wien
© Klimt-Foundation, Wien

Gebäude der k. k. Gartenbaugesellschaft am Parkring, um 1900
© Klimt-Foundation, Wien

In den späten 1890er-Jahren vollzog sich für Klimt der Wandel vom historistischen Dekorationsmaler zum eigenständigen, modernen Künstler. Die Ausstellungen der neu gegründeten Secession boten Klimt die ideale Plattform für die Präsentation seiner zunehmend symbolistischen Werke, die in der Öffentlichkeit jedoch heftige Skandale hervorriefen.

I. Secessionsausstellung
Bereits vor Eröffnung der »I. Kunst-Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs« war es zu einem Skandal gekommen. Das Ausstellungsplakat Klimts erregte mit seiner nackten, antikisierenden Figur so großes Ärgernis, dass das Plakat konfisziert wurde und erst in zensierter Form wieder in Umlauf kam. Trotz des Aufruhrs folgte Kaiser Franz Joseph I. der Einladung des Ausstellungskomitees – an dessen Spitze Klimt stand – und besuchte am 5. April 1898 die Ausstellungsräume in der Gartenbaugesellschaft. Die dadurch erhofften staatlichen Ankäufe blieben jedoch aus.

Während Gustav Klimt in den 1890er-Jahren nur mit einzelnen Werken in den Ausstellungen des Künstlerhauses präsent gewesen war, zeigte er sich als Präsident der 1897 gegründeten Wiener Secession erstmals mit einer großen Variationsbreite an Themen und Gattungen. Auf der Schau im Frühjahr 1898 zeigte Klimt drei Gemälde und drei Zeichnungen. Neben dem Auftragswerk für den Musiksalon von Nicolaus Dumba – die Supraporte Die Musik (1897/98, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt) – präsentierte Klimt zwei Ölstudien: jene eines alten Mannes, auch Der Blinde (um 1896, Leopold Museum, Wien) genannt, sowie ein Gemälde mit dem Titel Im Zwielicht (um 1897, Verbleib unbekannt) (Katalognummer 201). Das Motiv der Studie Im Zwielicht war in der Forschung bisher nicht bekannt gewesen, konnte nun jedoch durch einen Artikel der Deutschen Kunst- & Musik Zeitung als Porträtstudie einer »Dame im Zwielicht« identifiziert werden. Vom Aussehen her dürfte das verschollene Gemälde daher wohl den beiden Werken Allerlei Gesichter (Dame im Fauteuil) (1897/98, Privatbesitz) und Dame am Kamin (Dämmerung) (1897/98, Belvedere, Wien) ähneln.

Neben den drei Ölgemälden stellte Klimt noch zwei unbekannte Pastelle sowie die Kreide- und Bleistiftskizze zu dem Mappenwerk Allegorien. Neue Folge: Tragödie (1896, Wien Museum) aus. Im Zuge der Ausstellung gelangten ein »Studienkopf« und das Gemälde Im Zwielicht zum Verkauf.

Auf der ersten Ausstellung der Secession waren außerdem zahlreiche internationale Werke von korrespondierenden Vereinsmitgliedern vertreten, darunter die Maler Fernand Khnopff, Max Klinger, Giovanni Segantini und James McNeill Whistler sowie die Bildhauer Auguste Rodin und Constantin Meunier.

Joseph Maria Olbrich: Plakat der II. Secessionsausstellung, 1898
© Klimt-Foundation, Wien

II. Secessionsausstellung
Ein halbes Jahr später wurde in dem von Joseph Maria Olbrich neuerrichteten Secessionsgebäude die »II. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession« eröffnet. Für diese Gruppenausstellung, welche vermehrt Wiener Künstler ins Zentrum stellte, vollendete Gustav Klimt einige seiner bekanntesten Ölgemälde. Insgesamt waren sieben Werke des Malers zu sehen. Mit Porträt Sonja Knips (1897/98, Belvedere, Wien) und dem Gemälde seiner Nichte Porträt Helene Klimt (1898, Privatbesitz) schuf er seine ersten modernen weiblichen Porträts, die eine offene Malweise mit beinahe impressionistischen Zügen aufweisen. Das lange nicht näher identifizierbare und daher für ein Landschaftsbild gehaltene Werk Dämmerung (Katalognummer 74) konnte dank zeitgenössischer Beschreibungen als kleinformatige Porträtstudie einer Dame im Dämmerlicht identifiziert werden. Vermutlich handelt es sich dabei um jenes Werk, das in der Forschung bisher als Dame am Kamin bezeichnet worden war. Die Dame am Kamin (Dämmerung) reiht sich daher mit ihrem offenen Duktus in die Reihe der modernen Frauendarstellungen ein.

Klimts antikisierende Pallas Athene (1898, Wien Museum) erregte bereits 1898 internationale Aufmerksamkeit und stieß auf Unverständnis. Mit der heute verschollenen Landschaft Der Sammetapfelbaum (1897, Verbleib unbekannt) und der Allegorie Bewegtes Wasser (1898, Privatbesitz) stellte sich der Wiener Maler in die Tradition der symbolistischen Traumlandschaft. Laut Zeitungsberichten fiel auch das im Katalog mit »Das Schweigen« (Katalognummer 73) betitelte Werk unter diese Kategorie der aus einer »mystischen Dämmerung« heraus gemalten Werke. Das tatsächliche Aussehen des Gemäldes – das auf der Ausstellung vermutlich von Otto Wagner angekauft wurde – ist jedoch bis heute nicht bekannt. Die Kritiker äußerten sich darüber jedoch durchgehend positiv. Insgesamt bemerkte die Presse, dass sich Klimt zunehmend an symbolistischen, mystischen Malern wie Fernand Khnopff und Franz von Stuck orientierte und von seiner akademischen Ausbildung Abstand nahm. Seine zunehmende Distanz zum Naturalismus provozierte jedoch auch negative Stimmen der Rezensenten:

»Es ist nicht leicht, von einem Künstler, der ein so starkes Talent hat und zugleich so sehr Poseur ist, ohne Unwillen zu sprechen. Sein ›Damenporträt‹ zeigt ihn von der besten Seite; weniger schon sein ›Kinderporträt‹; die Affectation [!] übermann ihn in dem Phantasiestück ›bewegtes Wasser‹, steigert sich im ›Schweigen‹ und erreicht ihre Akme in der ›Pallas Athene‹.«

Wiener Secession und Naschmarkt, um 1900
© Klimt-Foundation, Wien

Galerie

Werke in der II. Ausstellung der Wiener Secession

  • Gustav Klimt: Bewegtes Wasser, 1898, Privatbesitz
    © Private collection, Courtesy Kallir Research Institute, New York
  • Gustav Klimt: Porträt Helene Klimt, 1898, Kunstmuseum Bern, Leihgabe aus Privatbesitz
    © Kunstmuseum Bern
  • Gustav Klimt: Porträt Sonja Knips, 1897/98, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll
  • Gustav Klimt: Pallas Athene, 1898, Wien Museum
    © Wien Museum
  • Gustav Klimt: Allerlei Gesichter (Dame im Fauteuil), 1897/98, Privatbesitz, courtesy of HomeArt
    © Sotheby's

Alfred Roller: Plakat der IV. Secessionsausstellung, 1899
© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Kolo Moser: Plakat der V. Secessionsausstellung, 1899
© ALBERTINA, Wien

IV. Secessionsausstellung
Im Katalog zur »IV. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession« vom 17. März bis zum 31. Mai 1899 sind drei Klimt-Werke genannt. Neben Schubert am Klavier (1899, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt), der zweiten Supraporte für den Musiksalon Dumba und Nuda Veritas (1899, Österreichisches Theatermuseum, Wien) nennt der Katalog auch ein Gemälde namens Allerlei Gesichter (Katalognummer 139). Das bisher als verschollen gegoltene Werk konnte dank der Beschreibung eines Zeitungsartikels erst kürzlich als das in der Forschung als Dame im Fauteuil bezeichnete Gemälde identifiziert werden. Es wurde noch während der Ausstellung von einem Bruder Richard Kraliks erworben und gelangte so in den Besitz der Familie.

Während Schubert am Klavier vom Publikum sehr wohlwollend aufgenommen wurde (sogar der Kaiser soll das Bild im Rahmen seines Besuches am 12. April 1899 besonders gelobt haben), wurde die unbekleidete weibliche Personifikation der »Nackten Wahrheit« kritisiert. Der deutsche Kunsthistoriker und Schriftsteller Wilhelm Schölermann fasste am 27. April 1899 seine Meinung in der Kunstchronik äußerst direkt und prägnant zusammen: »Gustav Klimt stellt eines seiner besten Bilder (›Schubert‹) und eines seiner ›schlimmsten‹ (›die nackte Wahrheit‹) aus.«

V. Ausstellung der Wiener Secession
Die neue Bedeutung der Zeichnung als eigenständiges Kunstwerk, wie sie auch bereits in der Vereinigungszeitschrift Ver Sacrum zum Ausdruck kam, bildete den Inhalt der »V. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession« zu Jahresende 1899. Klimt war mit neun Zeichnungen, darunter vor allem Studienköpfen und Skizzen zum Schubertbild, vertreten. Franz Servaes urteilte über die Arbeiten am 26. November 1899 in der Neuen Freien Presse folgendermaßen:

»Der maßgebende Meister für das junge Wien ist aber ganz unzweifelhaft Gustav Klimt. Er hat jene Verbindung von Grazie, Vibration und Stylgefühl, die, wie mir scheint, die besondere Wiener Note des modernen Kunstgefühls ausmacht. Und er besitzt eine Delicatesse der Hand, die, indem sie Alles leicht verhüllt, dennoch Alles aufs zarteste ausdrückt.«

Das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht kaufte auf der Ausstellung Klimts Zeichnung Mädchenkopf an.

Einblick in die V. Secessionsausstellung, November 1899 - Januar 1900
© Klimt-Foundation, Wien

Josef Maria Auchentaller: Plakat der VII. Secessionsausstellung, 1900, Klimt-Foundation, Wien
© Klimt-Foundation, Wien

VII. Ausstellung der Wiener Secession
Mit der Präsentation des ersten monumentalen Deckengemäldes für die Aula der Universität Wien – Die Philosophie (1900–1907, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt) – auf der »VII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession« (08.03.1900–06.06.1900) löste Klimt einen der größten Kunstskandale der Jahrhundertwende aus, der auch internationale Beachtung fand. Klimt hatte bis kurz vor Ausstellungsbeginn an dem Werk gearbeitet. Aus mehreren Quellen geht hervor, dass er mit dem Gemälde, vor allem dem »Kopf des Wissens«, nicht zufrieden war. Der 1900 präsentierte Zustand der Philosophie entsprach also keineswegs der finalen Version und wurde nachweislich in den folgenden Jahren noch weiter überarbeitet.

Die Kritiker bemängelten vor allem das Fehlen einer klaren Formen- und Bildsprache und die dadurch resultierende ausbleibende Lesbarkeit:

»Sie [Anm.: die Arbeiten der anderen Künstler] verwischen [...] den ersten schlimmen Eindruck, den Klimt durch [...] die ›Philosophie‹, gleich beim Betreten des Hauptsaales hervorruft. Er gibt im Katalog zwar eine Erklärung [...] ich wette jedoch Tausend gegen Eins, daß [!] neunundneunzig Perzent [!] der Beschauer gleich mir nicht im Stande sein werden diese schönen Dinge aus der grotesken Farbensymphonie Klimt‘s herauszulesen.«

Die erwähnte im Katalog beigefügte Beschreibung der Bedeutung der einzelnen Bildkomponenten zeigt, dass sich Klimt durchaus dessen bewusst war, dass das Werk Die Philosophie von der klassischen Ikonografie abwich. Er hatte seine eigene symbolistische Bildsprache entwickelt, die ohne nähere Erklärungen von der breiten Masse nicht verstanden werden konnte. Auch das Lehrpersonal der Universität beanstandete das Werk, das ihre Aula zieren sollte. Im März 1900 reichten zahlreiche Professoren eine Petition ein, in der sie gegen die Anbringung des Gemäldes an seinem Bestimmungsort eintraten.

Als Antwort darauf legten die Secessionsmitglieder am 27. März 1900 einen Lorbeerkranz vor dem ausgestellten Fakultätsbild nieder, um ihre Unterstützung für das moderne Monumentalgemälde Klimts zu zeigen. Am 2. April 1900, also noch lange vor Ende der Schau, ging das Fakultätsbild auf die Pariser Weltausstellung (1900) und wurde durch Theresa Feodorowna Ries' Plastik Die Unbesiegbaren sowie ein Damenporträt von Hugo von Habermann ersetzt.

Trotz des skandalträchtigen Beitrags, gelang es Klimt, alle drei anderen von ihm ausgestellten Werke zu verkaufen. Während die beiden Landschaften Obstgarten am Abend (1899, Privatbesitz) und Ein Morgen am Teiche (1899, Leopold Museum, Wien) private Käufer fanden, ging Nach dem Regen (Garten mit Hühnern in St. Agatha) (1898, Belvedere, Wien) durch einen Ankauf durch das Ministerium für Cultus und Unterricht in Staatsbesitz über. Dies zeigt, dass sich Klimt bereits als renommierter Landschaftsmaler mit impressionistischen Tendenzen in Wien etabliert hatte.

Neben Klimts Werken waren unter anderem Arbeiten von Paul Signac, dem »Apostel des Neo-Impressionismus«, dem österreichischen Landschaftsmaler Eugen Jettel und dem niederländischen Symbolisten Jan Toorop zu sehen.

Galerie

Werke in der VII. Ausstellung der Wiener Secession

  • Moriz Nähr: Die Philosophie, um 1900, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, aus dem Nachlass von Moriz Nähr
    © Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek
  • Gustav Klimt: Nach dem Regen (Garten mit Hühnern in St. Agatha), 1898, Österreichische Galerie Belvedere
    © Belvedere, Wien
  • Gustav Klimt: Ein Morgen am Teiche, 1899, Leopold Museum
    © Leopold Museum, Wien
  • Gustav Klimt: Obstgarten am Abend, 1899, Privatbesitz, Dauerleihgabe im Leopold Museum, Wien
    © Leopold Museum, Wien

Einblick in die Pariser Weltausstellung, Mai 1900 - November 1900
© Universitätsbibliothek Heidelberg

Alfons Mucha: Plakat Österreich auf der Weltausstellung Paris, 1900
© Klimt-Foundation, Wien

Pariser Weltausstellung
Das in Wien so heftig angefeindete und in der internationalen Presse ausführlich besprochene Gemälde Die Philosophie wurde auf der Pariser Weltausstellung (14.04.1900–12.11.1900) in der Österreichischen Abteilung im Raum der Wiener Secession gezeigt. Fotografien dokumentieren, dass das Werk dort prominent direkt gegenüber des Eingangs hing. Die Ausstellungsjury, der auch Klimts Kollegen Otto Wagner und Othmar Schimkowitz angehörten, bedachte es mit einer von zwanzig Goldmedaillen – »Grand Prix« – für die Abteilung Malerei. Dies war insofern ungewöhnlich, da die Vereinigung im Vorfeld angekündigt hatte, dass ihre Mitglieder nicht an Wettbewerben teilnehmen würden. Dennoch erfuhr das inzwischen skandalumwitterte Werk in der Kritik und im Publikum wenig Resonanz:

»Wie wenig die Franzosen unsere moderne Dekoration goutieren; nicht einmal Ihre berühmte Philosophie von Klimt findet im Publikum mehr Anwerth [!] als bei den Wiener Universitätsprofessoren.«

Zusätzlich zu dem Fakultätsbild hatte Klimt die Weltausstellung noch mit seinen beiden anderen Hauptwerke dieser Zeit Porträt Sonja Knips (1897/98, Belvedere, Wien) und Pallas Athene (1898, Wien Museum) beschickt.

Spätestens nach der Weltausstellung war der »noch wenig bekannte Wiener Sezessionist Gustav Klimt« – wie ihn die Münchener Allgemeine Zeitung nennt – der internationalen Kunstszene ein Begriff.

Literatur und Quellen

  • Franz Arnold: Die Ausstellung der Secession, in: Neue Freie Presse (Morgenausgabe), 24.11.1898, S. 3.
  • N. N.: Theater und Kunst, in: Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie, 08.04.1898, S. 7.
  • N. N.: Die Sezessionsausstellung, in: Ostdeutsche Rundschau, 15.06.1898, S. 9.
  • Franz Servaes: In der Secession, in: Neue Freie Presse (Morgenausgabe), 26.11.1899, S. 31.
  • von der Hasenheide: Über die Pariser Ausstellung. Berliner Brief, in: Photographische Correspondenz, 37. Jg., Nummer 478 (1900), S. 440.
  • Philip Athill: The International Society of Sculptors, Painters and Gravers, in: The Burlington Magazine, 127. Jg., Heft 982 (1985), S. 21-29, S. 33.
  • Wilhelm Schölermann: Die Frühjahrs-Ausstellung der Secession und des Künstlerhauses in Wien, in: Kunstchronik. Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe, N.F., 10. Jg., Heft 23 (1899), Spalte 356.
  • Deutsche Kunst- & Musik-Zeitung, 25. Jg., Nummer 9 (1898), S. 100.
  • Ludwig Hevesi: Acht Jahre Sezession (März 1897–Juni 1905). Kritik – Polemik – Chronik, Wien 1906, S. 81.
  • Moderne illustrierte Zeitung für Reise und Sport. Theater und Literatur, Kunst, Mode und Fremdenverkehr, 12. Jg., Heft 7 (1912), S. 37.

Zeichnungen

Gustav Klimt: Brustbild einer jungen Dame mit Hut und Cape im Profil nach links, 1897/98, Leopold Museum
© Leopold Museum, Wien

Gustav Klimt: Thaleia und Melpomene, 1898, Albertina
© ALBERTINA, Wien

Gustav Klimt: Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips, 1898, Österreichische Galerie Belvedere
© Belvedere, Wien

Kurz vor 1900 zeichnete Gustav Klimt sowohl mit Kreide als auch mit Tusche, wodurch er atmosphärisch-intimen Damenbildnissen und stilisierten Allegorien gänzlich unterschiedliche Erscheinungsweisen geben konnte. Dabei orientierte er sich am international aufstrebenden Symbolismus und Jugendstil.

Gustav Klimt wechselte bei seinen Zeichnungen Ende der 1890er Jahre, je nach Funktion des Blattes, zwischen einem sensualistischen, auf Tonwerten aufbauenden Stil für Damenbildnisse, einem harten, linearen Ausdruck für Illustrationen und einem freien Zeichnen für Skizzen. So entstanden mit der Hinwendung Klimts zum Symbolismus und Jugendstil während der prägenden Phase der Gründung der Wiener Secession auch einige autonom stehende Zeichnungen.

Bildnisstudien und Damenporträts
Unter den Zeichnungen, die ab 1897 entstanden, stechen das Bildnis einer Dame mit Cape und Hut (1897/98, Albertina, Wien, S 1980: 389), das Brustbild eines Mädchens mit Hut und Cape im Profil nach links (1897/98, Leopold Museum, Wien, S 1980: 390) und das Bildnis einer jungen Frau im Lehnstuhl (1897/98, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles, S -) besonders hervor. Mit dem Einsatz von schwarzer und selten roter Kreide bzw. eines weichen Bleistifts ließ Klimt eine atmosphärische, intime Stimmung entstehen. Er setzte die Modelle der Frauenbildnisse modisch gekleidet in Szene und modellierte deren Gesichtszüge in weichem Licht. Wichtige Vorbilder, die sich einer ähnlichen schraffierenden Zeichentechnik und einer diffusen Lichtstimmung bedienten, waren George Seurat, Eugène Carriere und Fernand Khnopff.

Das Blatt Thaleia und Melpomene (1898, Albertina, Wien, S 1980: 441) steht dieser Gruppe von atmosphärischen Damenbildnissen stilistisch nahe. Es zeigt die Musen der Tragödie und der Komödie sowie die dazugehörigen Theatermasken und könnte als Beitrag für das Mappenwerk Allegorien. Neue Folge entstanden sein. Als Inspirationsquelle für die Komposition der frontalen und im Profil in vertikaler Schraffur ausgearbeiteten Köpfe diente Klimt vermutlich Jan Toroops Lithografie Der Sämann (1893, Albertina, Wien).

»Rotes Skizzenbuch der Sonja Knips«
Von Gustav Klimts Skizzenbüchern sind bisher nur drei erhaltene Exemplare bekannt: Das in rotes Leder gebundene Skizzenbuch verewigte Klimt im Porträt Sonja Knips. In dem Gemälde hält die Auftraggeberin das kleine rote Büchlein in der Hand, welches ihr Klimt wohl schenkte, da es sich mit einer kleinen beigelegten Fotografie in ihrem Besitz befand.

Das Skizzenbuch umfasst 146 Seiten mit 76 Zeichnungen sowie Notizen, die aus der Zeit zwischen 1897 bis um 1900 stammen. Ein Großteil davon entstand im Jahr 1898. Klimt hielt Ideen, flüchtige Skizzen und Kompositionsstudien fest, die einen spannenden Einblick in seinen Schaffensprozess von der Ideenfindung bis zum ausgeführten Werk bieten. Die Studien lassen sich u.a. der Tuschezeichnung Fischblut (1897/98), den Gemälden Nuda Veritas (1899, Theatermuseum, Wien), Bewegtes Wasser (1898, Privatbesitz), Der Schwarze Stier (1900, Privatbesitz), Judith I (1901, Österreichische Galerie Belvedere, Wien), Irrlichter (1903, Privatbesitz) und den Fakultätsbildern zuordnen. Besonders umfangreich waren dabei die insgesamt 26 Kompositionsskizzen das Fakultätsbild Die Philosophie (1900–1907, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt). Ebenfalls enthalten sind mehrere Skizzen für den gemalten Entwurf Die Jurisprudenz (1897/98, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt) und Die Medizin (1900–1907, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt).

Fakultätsbilder
Früheste Skizzen für die Deckenbilder im Festsaal der k. k. Universität Wien sind bereits aus der Zeit der Auftragserteilung 1894 bekannt, jedoch intensivierte sich Klimts Arbeit an den vorbereitenden Studien besonders ab 1897 und 1898. Er erprobte mittels zahlreicher Skizzen Einzelfiguren in unterschiedlichen Haltungen und Lebensphasen – oftmals Akte in Untersicht – und begann sich mit der weich schwingenden Umrisslinie auseinanderzusetzen.

Neben Kompositionsskizzen der Fakultätsbilder entstanden zudem in Öl gemalte Entwürfe sowie um 1900 zwei Übertragungsskizzen für Die Philosophie (Wien Museum, S 1980: 477) und für Die Medizin (Albertina, Wien, S 1980: 605). Da sich Klimts Arbeit an diesen monumentalen Werken über einen langen Zeitraum erstreckte, erfolgten zahlreiche Änderungen und Ergänzungen, die sowohl die verschiedenen Stadien und Fassungen der Fakultätsbilder, als auch seine künstlerische Entwicklung dokumentieren. Weg vom Historismus und traditionellen Darstellungsweisen manifestierte sich auch in seinen Zeichnungen die zunehmend symbolistische und moderne Stilistik, sein neuer Zugang zum nackten menschlichen Körper, aber auch sein Motivrepertoire.

Gustav Klimt: Plafondskizze, Tür- und Ecklösung des Musiksalons Dumba, um 1897, Wien Museum
© Wien Museum

Gustav Klimt: Notiz von Gustav Klimt auf einem Entwurf für ein Ver Sacrum-Kalenderblatt für den Monat Jänner, um 1900, Museum Georg Schäfer
© Museum Georg Schäfer, Schweinfurt

Entwürfe für den Musiksalon Dumba
Ähnlich wie bei den Fakultätsbildern zeichnete Klimt für den Auftrag von Nicolaus Dumba erste Entwürfe bereits um 1894. Zwei Briefe von 1897 belegen, dass Klimt »die Skizzen für das Plafonbild« und »sämmtliche [!] architektonische Skizzen« für den Musiksalon des Palais Dumba fertiggestellt hatte. In den Entwürfen (1897, Wien Museum, S 1980: 318; 1897, Privatbesitz, S 1980: 319) vermittelte er Lösungen für die Wand-, Tür- und Deckengestaltung. Ab 1898 widmete er sich verstärkt den Skizzen für die beiden Bilder Die Musik (1897/98, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt) und Schubert am Klavier (1899, 1945 in Schloss Immendorf verbrannt), die für die Supraporten des Salons vorgesehen waren.

Illustrationen für Ver Sacrum
Als Gründungsmitglied und erster Präsident der Wiener Secession lieferte Gustav Klimt ab dem ersten Heft Beiträge für die Vereinigungszeitschrift Ver Sacrum. Dabei handelte es sich sowohl um reproduzierte Gemälde, Zeichnungen und Blätter, als auch um Buchillustrationen, die teilweise mit der Bildunterschrift »Buchschmuck für V. S. gez. v. Gust. Klimt« versehen waren. Im zweiten Heft wurde eine farbige Reproduktion der Zeichnung Die Hexe (1897/98, Theatermuseum, Wien, S 1980: 331) publiziert, die im Besitz von Hermann Bahr war. Er beschrieb sie 1922 in der Neuen Freien Presse als »eine rote Hexe mit Haaren von Burne-Jones oder Rossetti, Augen von Toorop und einem Mund von Khnopff […]« und verwies damit auf den Einfluss der englischen Präraffaeliten und belgischen Symbolisten.

Das März-Heft 1898 war Gustav Klimt gewidmet, für das er sich auch im Bereich des Buchschmucks betätigte, indem er Vignetten, Initialen und Illustrationen beisteuerte. Er bereitete diese Illustrationen teilweise in Studien vor und arbeitete mit einem auf die Umrisslinie reduzierten, flächigen Stil. Diese Stilistik, die hochformatigen Bildausschnitte sowie die Motivik waren von japanischer Druckgrafik, antiker Vasenmalerei und dem hochstilisierten, grafischen Werk von Aubrey Beardsley inspiriert. Auch das Kalenderblatt für den Monat Jänner (1900, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, S 1980), das im 1. Heft des 4. Jahrgangs 1901 im Ver Sacrum in Schwarz und Gold gedruckt wurde, steht in dieser Tradition.

Literatur und Quellen

  • Marian Bisanz-Prakken (Hg.): Gustav Klimt. Die Zeichnungen, Ausst.-Kat., Albertina (Wien), 14.03.2012–10.06.2012; Getty Center (Los Angeles), 03.07.2012–23.09.2012, München 2012.
  • Marian Bisanz-Prakken: Klimts zeichnerisches Universum: Grundhaltungen – Seelenstimmungen, in: Tobias G. Natter (Hg.): Gustav Klimt. Sämtliche Gemälde, Wien 2012, S. 370-455.
  • Alice Strobl (Hg.): Gustav Klimt. Die Zeichnungen, Band I, 1878–1903, Salzburg 1980.
  • Christian M. Nebehay: Gustav Klimt. Das Skizzenbuch aus dem Besitz von Sonja Knips, Wien 1987.
  • Hermann Bahr: Klimt, in: Neue Freie Presse, 16.07.1922, S. 1-2.
  • Franz Smola, Fritz Koreny (Hg.): Linie und Form. 100 Meisterzeichnungen aus der Sammlung Leopold, Ausst.-Kat., Leopold Museum (Museums Quartier, Wien), 23.05.2014–20.10.2014, Wien 2014.
  • Alice Strobl (Hg.): Gustav Klimt. Die Zeichnungen, Band IV, 1878–1918, Salzburg 1989.
  • Belvedere Sammlung Online. Rotes Skizzenbuch. sammlung.belvedere.at/objects/9997/rotes-skizzenbuch (01.09.2022).
  • Brief von Gustav Klimt in Wien an Nicolaus Dumba in Wien (02/09/1897). H.I.N. 54.768, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung.
  • Brief von Gustav Klimt in Wien an Nicolaus Dumba in Wien (04/21/1897). H.I.N. 54.767, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung.