Wiener Werkstätte

Einblick in den Ausstellungsraum der Wiener Werkstätte, 1904/05, MAK - Museum für angewandte Kunst, Archiv der Wiener Werkstätte
© MAK

Josef Hoffmann, Kolo Moser und Fritz Waerndorfer gründeten 1903 die Wiener Werkstätte. Architekten, Künstler und Handwerker entwarfen und fertigten in engem Kontakt zum Auftraggeber künstlerisch hochwertige »Gesamtkunstwerke« für alle Bereiche des alltäglichen Bedarfs: Architektur, Möbel, Porzellan, Glas, Textilien, Mode, Schmuck und Kunsthandwerk jeglicher Art.

Internationale Impulse in Wien
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts propagierten John Ruskin, William Morris und Charles Robert Ashbee ihre Ideen zu Kunst und Handwerk unter den Prinzipien der Zweckgerechtigkeit und soliden handwerklichen Grundlage in der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung. Um 1900 fanden diese neuen Impulse zur Erneuerung der Kunst europaweit und auch in Wien Niederschlag. Die junge Wiener Secession legte den Schwerpunkt der »VIII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs« auf europäisches Kunstgewerbe, es beteiligten sich u.a. Ashbees Guild of Handicraft, die Pariser Maison Moderne, Henry Van de Velde und die schottische Künstlergruppe The Four mit dem Künstlerehepaar Mackintosh. Als damaliger Vizepräsident der Secession bat Josef Hoffmann den kunstaffinen Industriellen Fritz Waerndorfer, der fließend Englisch sprach und mit den neuesten britischen Designtrends vertraut war, nach Glasgow zu reisen um Charles Rennie Mackintosh für die Ausstellungsbeteiligung zu gewinnen.

Gründung und Ziele der Wiener Werkstätte
Inspiriert durch die neuen Eindrücke und mehrere Englandreisen wollten Hoffmann, Kolo Moser und Waerndorfer der industriellen Massenproduktion und dem erstarrten Historismus mit zeitgenössischen kunsthandwerklichen Qualitätsprodukten entgegenwirken und gründeten im Mai 1903 die Wiener Werkstätte als »Productivgenossenschaft von Kunsthandwerkern in Wien«. Mit Waerndorfer als »Kassier« und Hoffmann und Moser als künstlerischen Direktoren erhielt die Wiener Werkstätte vorerst ein Büro und Atelier in einer kleinen Wohnung in der Heumühlgasse 6. Noch im selben Jahr übersiedelten sie in die Neustiftgasse 32-34, worüber Joseph August Lux in der Deutschen Kunst und Dekoration berichtete:

»In einem weitläufigen Neubau in der Neustiftgasse hat diese Vereinigung von Kunsthandwerkern ihr Heim aufgeschlagen; drei weitläufige Stockwerke bergen den Komplex der ›Wiener Werkstätte‹, und zwar eigene Werkstätten für Metallarbeit, Gold und Silberarbeit, Buchbinderei, Lederarbeit, Tischlerei, Lackiererei, die Maschinenräume, die Bau-Bureaux, die Zeichensäle, den Ausstellungssaal.«

Am Anfang dominierten die Entwürfe von Hoffmann und Moser. Der englische Einfluss, aber auch die Orientierung an dem um die Jahrhundertwende populären japanischen Kunst- und Formempfinden waren unübersehbar: Schwarz-Weiß-Kontrast, quadratische Ornamentik und geometrische Formen prägten die Erzeugnisse, die meist mit dem charakteristischen Monogramm der Wiener Werkstätte und den Signets der einzelnen Mitarbeiter gekennzeichnet wurden. Neben der Aufwertung des Handwerks war die vorrangige Zielsetzung die »Zweckmäßigkeit« der Produkte, welche die Wiener Werkstätte in ihrem 1905 herausgegebenen Arbeitsprogramm formulierte:

»Wir wollen einen innigen Kontakt zwischen Publikum, Entwerfer und Handwerker schaffen. Wir gehen vom Zweck aus, die Gebrauchsfähigkeit ist uns erste Bedingung […] Es soll die Arbeit des Kunsthandwerkers mit demselben Maß gemessen werden wie die des Malers und Bildhauers.«

Zur kaufkräftigen Kundschaft zählten Industrielle und Persönlichkeiten des jüdischen Großbürgertums, darunter befanden sich die Familien Wittgenstein, Zuckerkandl, Gallia und Ast.

Aufträge, Großprojekte und Verkaufsangebot
Die Wiener Werkstätte fertigte jedoch nicht nur Einrichtungs- und Alltagsgegenstände, sondern erhielt auch architektonische Aufträge wie das Sanatorium Purkersdorf (1904-1906), die Ausstattung des Modesalons »Schwestern Flöge« (1904) und das Palais Stoclet (1905-1911) in Brüssel. Letzteres gilt als Hauptwerk der Wiener Werkstätte und symbolisiert am deutlichsten die Utopie des Gesamtkunstwerks. Hoffman entwarf das Bauwerk, Gustav Klimt lieferte seinen berühmten Mosaikfries Der Stocletfries (1905–1911, Privatbesitz) und Künstler wie Carl Otto Czeschka oder Ludwig Heinrich Jungnickel wirkten an der Ausstattung mit.

1907 übernahm die Wiener Werkstätte die Ausstattung des legendären Etablissements Kabarett Fledermaus und gestaltete dabei das Mobiliar, die Majolika-Auskleidung aber auch Plakate und Programmhefte. Der Werkstättenbetrieb verfügte nun zudem über einen eigenen Verlag, der sowohl Gebrauchsgrafiken wie Bilderbögen, Tisch- und Menükarten und Weinflaschenetiketten umsetzte, als auch beispielsweise Oskar Kokoschkas Dichtung Die träumenden Knaben herausbrachte. Weiters wurde eine Postkartenserie mit rund tausend Einzelnummern produziert, an denen sich Künstler wie Egon Schiele, Rudolf Kalvach oder auch Richard Teschner beteiligten.

1907 eröffnete die Wiener Werkstätte ein Verkaufslokal in Wien (Am Graben 15) und bildete eine Verkaufsgemeinschaft mit der von Michael Powolny und Bertold Löffler gegründeten Keramikwerkstätte Wiener Keramik. Im gleichen Jahr zog sich Kolo Moser aus der Wiener Werkstätte zurück.

1909 eröffnete eine Verkaufsfiliale in Karlsbad und der Bau der Villa Ast auf der Hohen Warte in Wien (1909–1911) wurde begonnen. Durch die Einrichtung der Modeabteilung unter der Leitung von Eduard Josef Wimmer um 1910 wurde das Angebot um Kleidung, Accessoires, Schmuck, aber auch um neuartige Druckstoffe erweitert.

Konkurs, Firmenumstrukturierung und neuer Aufschwung
Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wurde 1913 die Produktion der Wiener Werkstätte eingestellt, Konkurs angemeldet und Fritz Waerndorfer trat aus dem Unternehmen aus. 1914 folgte die Liquidation und Umwandlung der Firma in eine Betriebsgesellschaft unter der neuen Geschäftsführung des Bankiers, Industriellen und Mäzens Otto Primavesi; auch Moriz Gallia trug zur Refinanzierung bei. Gemeinsam mit seiner Frau Eugenia »Mäda« Primavesi beauftragte Otto Primavesi die Wiener Werkstätte mit dem Bau seines Landhauses in Winkelsdorf (1913/14), in dem zahlreiche Feste mit befreundeten Künstlern wie Gustav Klimt und Anton Hanak stattfanden. Auch Ottos Cousin Robert Primavesi fungierte als Auftraggeber mit der Villa Skywa-Primavesi (1913–1915).

Die anfänglich streng geometrischen Zierformen wurden sukzessive durch ornamentale Dekorationen ergänzt, doch besonders ab 1915 sorgte Dagobert Peche als künstlerischer Leiter für den vermehrten Einsatz von figuralem, pflanzlichem und ornamentalem Dekor und trug wesentlich zum Stilwandel vom Jugendstil zum Art déco bei. Er erweiterte die Produktion um Tapeten, bedruckte Stoffe, Rahmen, Goldschmiedekunst, Stickerei und Spitzenklöppelei. Das Angebot der Wiener Werkstätte umfasste ab 1915 sogar Glasdekoration, Keramikherstellung und Glasschliff und setzte weltweit neue Impulse für das Kunstgewerbe. Das Unternehmen kooperierte zudem mit Glasverlegern wie E. Bakalowits, J. & L. Lobmeyr und Textilproduzenten wie J. Backhausen. In der Tegetthoffstraße 7 wurde eine neue Zentrale eingerichtet, eine Niederlassung in Berlin und eine Filiale in Marienbad sowie zusätzliche Verkaufslokale in der Wiener Kärntnerstraße 32 und 41 folgten. Dagobert Peche übernahm 1917 die Leitung der neuen Filiale in Zürich.

Die Wiener Werkstätte in den 1920er Jahren
Es kam 1920 zu einer erneuten Umstrukturierung und Firmierung als Wiener Werkstätte Gesellschaft m.b.H.und Otto Primavesis Schwager Egon Butschek sollte zu dieser Zeit in der Funktion des Generaldirektors das Unternehmen sanieren. Die Kunden stammten mittlerweile häufig aus dem Ausland und es eröffneten 1922 weitere Geschäftslokale in Velden am Wörthersee und in New York unter der Leitung von Joseph Urban. Zu den prominentesten Projekten der 1920er Jahre zählten die Villa Ast (1923–24) in Velden und das Haus Sonja Knips in Wien (1924–1925).

Otto Primavesi schied 1925 aus dem Unternehmen aus und seine Frau Eugenia blieb Gesellschafterin und künstlerische Beraterin. Die Wiener Werkstätte musste aufgrund der anhaltenden finanziellen Schwierigkeiten den Ausgleich beantragen und der Industrielle und Eugenia Primavesis Verwandter Kuno Grohmann wurde 1927 zum neuen Geschäftsführer. Das 25jährige Bestehen wurde mit einem von Mathilde Flögl herausgegebenen Verkaufskatalog und der Festschrift Die Wiener Werkstätte 1903-1928. Modernes Kunstgewerbe und sein Weg gefeiert und 1929 eröffnete eine weitere Verkaufsstelle in Berlin.

Niedergang und Höhepunkte
Leider führten das Festhalten an der elitären Linie, die unprofessionelle Betriebsführung und die durch die Weltwirtschaftskrise geschwächte Käuferschicht 1932 entgültig zur Schließung des Unternehmens. Die verbliebenen Warenbestände kamen im Auktionshaus für Altertümer Glückselig zur Versteigerung, 1939 erfolgte die Löschung der Firma im Handelsregister.

Die Wiener Werkstätte revolutionierte mit ihrer zukunftsweisenden Formensprache und dem interdisziplinären Anspruch auf ästhetische Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche das Kunsthandwerk des beginnenden 20. Jahrhunderts und trug maßgeblich zu dessen Erneuerung bei. Bereits um 1900 berief Direktor Felician von Myrbach die prägenden Künstler Josef Hoffmann, Alfred Roller, Kolo Moser und Carl Otto Czeschka als Lehrer an die Wiener Kunstgewerbeschule. Dort setzten sie neue Impulse und engagierten viele Studierende noch während ihrer Studienzeit oder knapp nach Abschluss als Mitarbeiter:innen der Wiener Werkstätte. Die ausgefeilten Entwürfe fanden nicht nur durch die internationalen Verkaufsstellen, sondern auch durch zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland und die umfangreiche Berichterstattung in Zeitschriften wie der Deutschen Kunst und Dekoration weltweite Verbreitung. Besonders hervorzuheben waren die Präsentationen in der Galerie Miethke in Wien 1905, auf der »Imperial-Royal Austria Exhibition« in London 1906, auf der »Kunstschau Wien« im Jahre 1908 und auf der »Internationalen Kunstausstellung Rom 1911«. Die Wiener Werkstätte erlangte in kurzer Zeit große Bekanntheit und etablierte sich zur Marke mit eigenständigem Stil, die nachhaltig die Designgeschichte beeinflusste.

Literatur und Quellen

  • Peter Vergo: Fritz Waerndorfer as Collector, in: Alte und moderne Kunst. Österreichische Zeitschrift für Kunst, Kunsthandwerk und Wohnkultur, 26. Jg., Heft 177 (1981), S. 33-38.
  • Gabriele Fahr-Becker: Wiener Werkstätte. 1903-1932 (Reprint 2003), Köln 1994.
  • Heinrich R. Scheffer: Die Wiener Werkstätte und ihre Exlibris Künstler. www.exlibris-austria.at/03_artikel/03_01_wrwerk.html (09.11.2021).
  • Christian Witt-Döring, Janis Staggs (Hg.): Wiener Werkstätte 1903-1932. The Luxury of Beauty, New York 2017.
  • Ursula Graf, Stefan Üner: Ausgewählte Firmengeschichten, in: Eva B. Ottillinger (Hg.): Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne. Künstler, Auftraggeber, Produzenten, Ausst.-Kat., Hofmobiliendepot - Möbel Museum Wien (Wien), 21.03.2018–07.10.2018, Wien - Köln - Weimar 2018, S. 135-156.
  • Werner J. Schweiger: Wiener Werkstätte. Kunst und Handwerk 1903–1932, Wien 1982, S. 271.
  • Christian Witt-Dörring: Das Palais Stoclet – ein Gesamtkunstwerk. Eine Schicksalsgemeinschaft von Auftraggeber und Wiener Werkstätte 1905-1911, in: Christoph Thun-Hohenstein, Matthias Boeckl, Rainald Franz, Christian Witt-Dörring (Hg.): Josef Hoffmann. 1870–1956. Fortschritt durch Schönheit, Ausst.-Kat., MAK – Museum für angewandte Kunst (Wien), 15.12.2021–19.06.2022, Basel 2021, S. 145-148.
  • Joseph August Lux: Wiener Werkstätte. Josef Hoffmann. Koloman Moser, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Band 15 (1904/05), S. 1-14.
  • Peter Noever (Hg.): Der Preis der Schönheit. 100 Jahre Wiener Werkstätte, Ausst.-Kat., MAK – Museum für angewandte Kunst (Wien), 10.12.2003–07.03.2004, Ostfildern-Ruit 2003.
  • Christoph Thun-Hohenstein, Anne-Katrin Rossberg, Elisabeth Schmuttermeier (Hg.): Die Frauen der Wiener Werkstätte, Ausst.-Kat., MAK – Museum für angewandte Kunst (Wien), 21.04.2021–03.10.2021, Wien - Basel 2020.
  • N. N.: Die Wiener Werkstätte im Ausgleich. Ein Wiener Schicksal, in: Die Stunde, 12.05.1926, S. 5.
  • Siegfried Geyer: Der Leidensweg der Wiener Werkstätte, in: Die Bühne. Wochenschrift für Theater, Film, Mode, Kunst, Gesellschaft, Sport, 3. Jg., Heft 81 (1926), S. 6-9.
  • N.N.: Auflösung der "Wiener Werkstätte", in: Wiener Zeitung, 28.08.1932, S. 7.
  • Wiener Stadt- und Landesarchiv. Handelsregister C 17/7, Signatur 2.3.3.B78.17.7, Wiener Werkstätte. www.wien.gv.at/actaproweb2/benutzung/archive.xhtml (13.10.2022).
  • Wiener Zeitung, 23.05.1903, S. 600.
  • Josef August Lux: Moderne Kunstausstellung, in: Arbeiter-Zeitung, 13.12.1905, S. 1-2.