Kabarett Fledermaus

F. Engelman: Werbung für »Die Fledermaus«, um 1911
© KHM-Museumsverband

Josef Hoffmann: Postkarte "Barraum, Cabaret Fledermaus" der Wiener Werkstätte, 1907
© Klimt-Foundation, Wien

Josef Hoffmann: Postkarte "Cabaret Fledermaus" der Wiener Werkstätte, 1907
© Klimt-Foundation, Wien

Gustav Klimt: Freundinnen I (Schwestern), 1907, Klimt-Foundation
© Klimt-Foundation, Wien

Das von Josef Hoffmann unter der Mitwirkung vieler Künstler:innen gestaltete Etablissement Kabarett Fledermaus zählte neben dem Palais Stoclet und dem Sanatorium Purkersdorf zu den Inkunabeln des Gesamtkunstwerkes. Klimt besuchte diesen Ort der künstlerisch-experimentellen Entfaltungsfreiheit regelmäßig.

Die Gründungsgeschichte
Das Kabarett Fledermaus war im Souterrain eines Wohn- und Geschäftshauses (Ecke Kärntnerstraße 33/Johannesgasse 1, Wien-Innere Stadt) gelegen. Namensgebend für diesen »Theaterraum für die darstellenden Künste« war neben der Operette Die Fledermaus (1874) von Johann Strauss auch besagtes Tier der Nacht, Sinnbild des Verborgenen und Unbekannten. Vorbilder gab es vielerlei, wie das Pariser Cabaret Le Chat Noir oder das Münchner Etablissement Die Elf Scharfrichter. Der Schauspieler Emil Richter-Roland gebar vermutlich die Idee zu diesem Wiener Souterrain-Kabarett; er soll zu Beginn die Errichtung finanziert haben. Sehr früh kam es allerdings zur Eingliederung des kapitalstarken Unternehmers und Mitbegründers der Wiener Werkstätte, Fritz Waerndorfer. Dieser übernahm bis Juni 1909 auch die Aufgabe des Direktors. Josef Hoffmann zeichnete für das Konzept dieses Gesamtkunstwerkes verantwortlich.

»In Wien wird das Kabarett kunstgewerblich genial«
Wie aus der Programmschrift der Fledermaus hervorgeht, war die oberste Prämisse, sich von den gängigen Nachtlokalen Wiens zu unterscheiden. Dem Publikum sollte ein breitgefächertes Spektrum an darstellender Kunst – von Schattenspielen über Tanz und Dichterlesungen bis hin zu experimentellen Darbietungen – offeriert werden. Verlegt und veröffentlicht wurde dieses programmatische Schriftstück von der Wiener Werkstätte selbst. Der Autor ist nicht bekannt, vieles deutet allerdings auf Peter Altenberg als Verfasser hin.

Die Eröffnung des Kabarett Fledermaus fand am 19. Oktober 1907 statt. Die Arbeiterzeitung berichtete anerkennend:

»Das Cabaret Fledermaus ist gestern Abends dreihundert Außerwählten [!] enthüllt worden. Was Herr Professor Hoffmann im Unterirdischen der Kärntnerstraße geschaffen, gehört zu seinen architektonischen Meisterstücken. Kein zweiter macht ihm diesen wirklich deliziösen Raum nach […].«

»Sitzung dann Fledermaus« – Klimts Kabarettbesuche
Klimt wähnte sich unter den ersten 300 Gästen, die am Eröffnungsabend teilnahmen. Am 14. Jänner 1908 besuchte er das Kabarett ein zweites Mal und erlebte gemeinsam mit u.a. Hugo von Hofmannsthal, Josef Hoffmann, Bertold Löffler, Kolo Moser und Otto Wagner das Tanzdebüt der Schwestern Wiesenthal – Grete, Elsa und Bertha – in der Fledermaus. Das Engagement der tanzenden Schwestern hatte Waerndorfer auf Anraten von Hofmannsthal ermöglicht. Die folgenden Auftritte der Damen Wiesenthal waren bahnbrechend und sehr erfolgreich. Im Folgejahr war Klimt am 27. Februar mit Hermann und Therese Flöge (geb. Paulick) sowie weiteren Bekannten und Anfang März desselben Jahres nochmals mit seinem Mäzen Ferdinand Bloch Gast in diesem Etablissement.

Klimt und die Kunst der Fledermaus
In erwähntem Programm wird Gustav Klimt als »dekorativer« Mitarbeiter geführt. Inwieweit er an der Konzeption des Kabarett Fledermaus direkt beteiligt war, ist nicht belegt, er hatte aber zweifellos wesentlichen Anteil an der Formulierung der Ästhetik. Dass das innenarchitektonische Design des Kabaretts auf Klimt gewirkt haben mochte, legt das Gemälde Freundinnen I (Die Schwestern) (1907, Klimt-Foundation, Wien), das er im Sommer 1907 am Attersee vollendet hatte, nahe. Das Schachbrettmuster des Bodens findet sich als kleinteiliges Ornament in diesem Doppelporträt wieder, auch der buntfarbige Tupfendekor am rechten, oberen Bildrand scheint auf die polychrome Fliesengestaltung des Barraums zu referenzieren. Zwei feine Damen, gekleidet in Winterkostümen, lassen an Besucherinnen oder die dem Tanz verpflichteten Schwestern Wiesenthal denken.

Vice versa hielt auch die Formensprache Klimts Einzug in die Schöpfungen der Künstlerinnen und Künstler dieses Lokals respektive der Wiener Werkstätte. Ein Fritz Waerndorfer gewidmeter Kostümentwurf für die Tänzerin Miss Olga George von Kolo Moser aus dem Jahr 1908 verdeutlicht diese gegenseitige Inspiration. Mannigfaltige Ornamentik ziert den Körper der Frau und erinnert an Ausformulierungen, die Klimt in seinen Gemälden dieser Zeit, etwa in Porträt Adele Bloch-Bauer I (1907, Neue Galerie New York), zur Anwendung brachte. Vegetabile Formen schmücken den linken Unterarm der Tänzerin und lassen Spiralen erahnen. Die gold-bräunlichen Ranken dieses Moser’schen Bildgefüges erscheinen zudem als Reminiszenzen auf die Formgebung in Klimts Werk Wasserschlangen I (Pergament) (1904, überarbeitet: vor 1907, Belvedere, Wien).

Die »bunte Greuelgrotte« als beeindruckendes Gesamtkunstwerk  
Die Kabarettanlage gliederte sich in mehrere unterschiedlich gestaltete Bereiche. Von der Straße führte eine Treppe hinab zum imposanten, polychrom gestalteten Barraum. Von dort gelangten die Gäste in den schlichten aus weißem Putz und grauem Marmor bestehenden Theaterraum. Als Dekor dienten hier simple Reliefstreifen mit einem weißen Ornament aus Weintrauben. Darüber hinaus gab es eine über einen Stiegenaufgang zu erreichende Zwischenebene mit Logen und weiteren Sitzgelegenheiten. Ähnlich dem Brüsseler Palais Stoclet und dem Sanatorium Purkersdorf schuf Hoffmann auch mit diesem Kleinod ein Gesamtkunstwerk. Zu ikonischer Bedeutung gelangten ebenso einzelne Elemente, etwa Hoffmanns »Fledermausmöbel«, die von der Bugholzmöbelfirma Jacob & Josef Kohn ausgeführt worden waren.

Bertold Löffler und Michael Powolny, Gründer der Wiener Keramik, gestalteten in Zusammenarbeit mit vielen namentlich leider kaum bekannten Künstler:innen die rund 7.000 polychromen Majolikafliesen des Barraums. Diese Vielfarbigkeit stand in Kontrast zum schlichten schwarz-weiß gefliesten Boden. Auf Ludwig Hevesi wirkte dieser Raum wie eine

»bunte […] Greuelgrotte, bunt wie die Buntheit, und phantastisch wie die Phantasie«.

Weitere wichtige Mitarbeiter:innen waren, u.a. für die Kostümentwürfe Eduard Josef Wimmer-Wisgrill und Josef von Divéky, Marya Delvard, Mela Mars und die Schwestern Wiesenthal für den Tanz. Hermann Bahr, Dr. Franz Blei und Dr. Hans Heinz Evers fungierten als literarische Mitarbeiter. Oskar Kokoschka und Carl Otto Czeschka waren ebenfalls prominent beteiligt, wie auch Egon Friedell und Alfred Polgar, die Stücke für die Kleinkunstbühne des Kabaretts verfassten.

Der Niedergang der Fledermaus
Die exorbitanten Kosten führten schließlich dazu, dass sich Waerndorfer und die Wiener Werkstätte im Juni 1909 zurückzogen. Hugo Stein aus Berlin übernahm die Direktion. Unter dessen Ägide kam es zu einer Reduktion des vielschichtigen Vorstellungsspektrums. Darüber hinaus wurde das Interieur der Wiener Werkstätte teilweise entfernt und durch günstigeres Mobiliar ersetzt. Schließlich musste das Kabarett Fledermaus im April 1913 aufgrund der prekären finanziellen Situation endgültig schließen und blieb der Nachwelt nicht erhalten.

2019 veranlasste die Abteilung Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien die Rekonstruktion des legendären Barraums. Dieser wurde 2019 in der Barbican Art Gallery London sowie kurz darauf in der Österreichischen Galerie Belvedere dem Publikum präsentiert.

Literatur und Quellen

  • Ludwig Hevesi: Kabarett Fledermaus, in: Fremden-Blatt, 18.10.1907, S. 12.
  • Barbara Lesák: Hundert Jahre Kabarett Fledermaus. Eine Kleinkunstbühne im Kontext der europäischen Theateravantgarde im frühen 20. Jahrhundert, in: Thomas Trabisch, Michael Buhrs, Barbara Lesák (Hg.): Kabarett Fledermaus 1907-1913. Ein Gesamtkunstwerk der Wiener Werkstätte. Literatur, Musik, Tanz, Ausst.-Kat., Museum Villa Stuck (München), 18.10.2007–27.01.2008; Theatermuseum (Wien), 18.02.2008–08.06.2008, Wien 2007, S. 9-15.
  • Gerd Pichler: Das Kabarett Fledermaus. Ein Gesamtkunstwerk der Wiener Werkstätte, in: Thomas Trabisch, Michael Buhrs, Barbara Lesák (Hg.): Kabarett Fledermaus 1907-1913. Ein Gesamtkunstwerk der Wiener Werkstätte. Literatur, Musik, Tanz, Ausst.-Kat., Museum Villa Stuck (München), 18.10.2007–27.01.2008; Theatermuseum (Wien), 18.02.2008–08.06.2008, Wien 2007, S. 51-87.
  • Herta Neiß: Die wirtschaftlichen Hintergründe des Kabarett Fledermaus, in: Thomas Trabisch, Michael Buhrs, Barbara Lesák (Hg.): Kabarett Fledermaus 1907-1913. Ein Gesamtkunstwerk der Wiener Werkstätte. Literatur, Musik, Tanz, Ausst.-Kat., Museum Villa Stuck (München), 18.10.2007–27.01.2008; Theatermuseum (Wien), 18.02.2008–08.06.2008, Wien 2007, S. 89-97.
  • Claudia Feigl: Die Chronologie der »Fledermaus«, in: Thomas Trabisch, Michael Buhrs, Barbara Lesák (Hg.): Kabarett Fledermaus 1907-1913. Ein Gesamtkunstwerk der Wiener Werkstätte. Literatur, Musik, Tanz, Ausst.-Kat., Museum Villa Stuck (München), 18.10.2007–27.01.2008; Theatermuseum (Wien), 18.02.2008–08.06.2008, Wien 2007, S. 89-97.
  • Ernst Ploil: Economics, in: Christian Witt-Döring, Janis Staggs (Hg.): Wiener Werkstätte 1903-1932. The Luxury of Beauty, New York 2017, S. 20-31.
  • N. N.: Theater und Kunst. Das Cabaret Fledermaus, in: Arbeiter-Zeitung, 20.10.1907, S. 8.
  • Ludwig Hevesi: Kabarett Fledermaus, in: Altkunst – Neukunst, Wien 1909, S. 240-245.
  • Ansichtskarte von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Paris, 1. Karte (Morgen) (02/27/1909).
  • Ansichtskarte von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Paris, 1. Karte (Morgen) (03/05/1909).
  • Alexander Klee: Ein kollektives Gesamtkunstwerk, in: Florence Ostende (Hg.): Into the Night. Die Avantgarde im Nachtcafé, Ausst.-Kat., Barbican Art Gallery (London), 04.10.2019–19.01.2020; Unteres Belvedere (Wien), 14.02.2020–01.06.2020, München 2019, S. 56-63.
  • Cosima Rainer (Hg.): Kabarett Fledermaus @ Bar du Bois. Aktualisierung eines Experiments der Wiener Moderne, Ausst.-Kat., Heiligenkreuzer Hof (Universitätsgalerie der Angewandten, Wien), 12.03.2020–24.10.2021, Wien - Berlin - Boston 2021.
  • Elana Shapira: Der »andere« Wiener Visionär. Metamorphose im Kabarett Fledermaus, in: Cosima Rainer (Hg.): Kabarett Fledermaus @ Bar du Bois. Aktualisierung eines Experiments der Wiener Moderne, Ausst.-Kat., Heiligenkreuzer Hof (Universitätsgalerie der Angewandten, Wien), 12.03.2020–24.10.2021, Wien - Berlin - Boston 2021, S. 54-65.