Moriz Nähr

Selbstporträt Moriz Nähr, um 1890
© Klimt-Foundation, Wien

Selbstporträt Moriz Nähr mit Ludmilla Waas, um 1900
© Klimt-Foundation, Wien

Moriz Nähr: Waldinneres, um 1890
© Klimt-Foundation, Wien

Moriz Nähr: Gustav Klimt mit Katze vor seinem Atelier in der Josefstädter Straße, Mai 1911, Klimt-Foundation
© Klimt-Foundation, Wien

Moriz Nähr: Gustav Klimt im Hinterhofgarten seines Ateliers in der Josefstädter Straße, Mai 1911, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, aus dem Nachlass von Moriz Nähr
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek

Moriz Nähr: Gustav Klimts Werkstattraum in der Feldmühlgasse, vermutlich 1917, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, aus dem Nachlass von Moriz Nähr
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek

Selbstporträt Moriz Nähr, um 1930
© Klimt-Foundation, Wien

Das inhaltlich und stilistisch vielfältige Werk des Wiener Fotografen Moriz Nähr umfasst Porträtaufnahmen, Genreszenen, Stadt- und Naturansichten sowie Architektur- und Innenraumaufnahmen. Besonders prägend wirkten dabei seine Verbindungen zu Gustav Klimt, der Wiener Secession, dem Kaiserhaus Habsburg und der Familie Wittgenstein.

Moriz Nähr wurde am 4. August 1859 in Wien geboren und wuchs in armen Verhältnissen auf. Ab 1875 studierte er drei Semester an der k. k. Kunstgewerbeschule Malerei, wo er auch Maximilian Lenz kennenlernte, zu dem er eine enge Freundschaft entwickelte. Ohne Abschluss ging er 1877 in die Fotografenlehre bei seinem älteren Bruder Karl im ungarischen Schemnitz. Nach Karls überraschendem Tod an Tuberkulose kehrte Nähr im Jahr darauf nach Wien zurück. Bei Christian Griepenkerl war er für zwei Semester Gasthörer in der Allgemeinen Malerschule der Akademie der bildenden Künste.

Danach etablierte er sich als Fotograf und begann ab 1890 mit seiner Landschafts- und Stadtfotografie. Auf Stadtwanderungen fertigte er ohne Werkauftrag Architektur- und Genrefotos und dokumentierte Stadtbildveränderungen wie die Wienflussregulierung und damals unkonventionelle Motive wie Naschmarktszenen. Seine Landschafts- und Genrestudien stellte Nähr erstmals 1891 auf der »Internationalen Ausstellung künstlerischer Photographien« aus, die der Club der Amateur-Fotografen (später: Camera-Club) im k. k. Museum für Kunst und Industrie organisierte. Die Organisationsstrukturen von Amateurvereinigungen und Ausstellungsmöglichkeiten für Fotografen waren in Wien gut ausgebaut; Nähr wurde 1893 Mitglied in der Photographischen Gesellschaft und präsentierte seine Werke in Ausstellungen im In- und Ausland.

Als Mitglied der losen Künstlergruppe Hagengesellschaft hielt er deren bohème-artige Selbstinszenierungen, Treffen und Anlässe wie Gschnas- und Künstlerfeste fest und baute sein weit verzweigtes gesellschaftliches Netzwerk auf. Seine Kontakte zur Wiener Hocharistokratie bescherten ihm Aufträge der Familien Wittgenstein und Mautner-Markhof, die nicht nur seinen Lebensunterhalt sicherten, sondern auch den Beginn jahrzehntelanger Freundschaften und Kontakte zu avantgardistischen Künstlerbewegungen mit sich brachten.
Er war der Familienchronist der Wittgensteins, fotografierte ab 1897 die Familienmitglieder des Kaiserhauses Habsburg und dokumentierte Jagdausflüge des Kaisers Franz Joseph I. Der Thronfolger Franz Ferdinand ernannte Moriz Nähr 1908 sogar zum erzherzoglichen Kammerphotographen.

Nähr und Klimt
Im Wien der Jahrhundertwende war Nähr intensiven modernen Kunstströmungen ausgesetzt. Die Wechselwirkungen zwischen Malerei und Fotografie führten dabei speziell in der 1897 gegründeten Wiener Secession zu neuen Bildstrategien. Nähr lernte Gustav Klimt, den ersten Präsidenten der Vereinigung, vermutlich bereits während seiner Studienzeit an der Kunstgewerbeschule kennen, die Klimt ab 1876 besuchte. Ein Studienkollege Klimts war in der Vorbereitungsklasse von Professor Ferdinand Laufberger auch Nährs enger Freund und Secessionsgründungsmitglied Maximilian Lenz, der seit seiner Kindheit mit Franz Matsch bekannt war, da sie im gleichen Haus in der Josefstädter Straße 23 wohnten. Im Nachbarhaus bezogen Matsch und die Gebrüder Klimt 1890 ihr Hinterhofatelier in der Josefstädter Straße 21. Klimts Verbindung und Freundschaft zu Nähr bestand demnach bereits seit vielen Jahren als Nähr zum Reproduktionsfotografen der Secession avancierte und die innovativen Ausstellungsinszenierungen für die Zeitschrift Ver Sacrum fotografierte. Zudem fotografierte er Klimts Ateliers in der Josefstädter Straße (1911) und in der Feldmühlgasse (1917/18) sowie seine Gemälde und einige Porträtserien. Als persönlicher Fotograf hatte er dadurch häufig die Möglichkeit, den Zustand der Gemälde direkt nach deren Fertigstellung festzuhalten. Da Klimt seine Gemälde vor der finalen Fertigstellung oft mehrfach überarbeitete und im Zuge von Ausstellungspräsentationen oder zu Reproduktionszwecken in Einzelaufnahmen fotografieren ließ, liefern Nährs Aufnahmen von Klimt-Werken einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation der Werkgenese.

Nach 1900 widmete sich Moriz Nähr vermehrt der Innenraum-, Porträt- und Reproduktionsfotografie. 1907 entstand die bekannte Fotoserie des damaligen Direktors der Wiener Hofoper Gustav Mahler, den Nähr in der Loggia der Oper porträtierte. 1908 dokumentierte er die Ausstellungsräume und Kunstwerke der »Kunstschau Wien«. Im Jahr darauf entstand am 8. Juli auf der »Internationalen Kunstschau« zudem eine Porträtfotoserie von Klimt. Dieser berichtete darüber an Emilie Flöge in Kammer am Attersee:

»[...] heute Vormittag fotografiert worden in d.[er] Kunstschau durch Nähr – bin neugierig!«

1912 befand sich Nähr unter den Gründungsmitgliedern des Österreichischen Werkbundes. Einige Jahre später – zwischen 1927–1929 fotografierte er den Philosophen Ludwig und seine Schwestern Hermine, Helene und Margarethe Wittgenstein. Die einzelnen Porträtaufnahmen kombinierte er zu einem »Kompositfoto«, um den Begriff der »Familienähnlichkeit« in Ludwig Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen zu veranschaulichen. In dieser Zeit dokumentierte er auch das Palais Stonborough-Wittgenstein (Kundmanngasse 19) und lotete mit seinen Architekturfotos die Grenzen zur Neuen Sachlichkeit und dem »Neuen Sehen« aus.

Spätestens 1937 zog er sich aus seiner beruflichen Tätigkeit zurück und heiratete 1945 seine jahrzehntelange Lebensgefährten Ludmilla Waas nur wenige Wochen vor seinem Tod. Moriz Nähr starb am 29. Juni 1945 in Wien.

Zeitlebens hatte Nähr kein traditionelles Porträtstudio oder Atelier, sondern betrieb seine Werkstatt in seiner Wohnung. Er wechselte den Wohnort mehrfach innerhalb von Wien Neubau; bekannt sind die Adressen Neustiftgasse 11, Sigmundsgasse 5, Burggasse 33 und Siebensterngasse 30. Er arbeitete vorrangig mit Großformatplattenkameras (18 x 24 cm) und Petzval-Porträtobjektiven. Die Abzüge stellte er in höchster Perfektion in unterschiedlichen Techniken her (v.a. Bromsilbergelatinepapier, Mattkollodiumpapier, Pigmentdruckverfahren) und autorisierte sie durch seine Signatur, mit einem Prägestempel oder Fotografenstempel. Die umfangreichsten Bestände der Glasnegativplatten und Originalabzüge befinden sich in der Klimt-Foundation, im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek und im Wien Museum.

Literatur und Quellen

  • Uwe Schögl, Hans-Peter Wipplinger (Hg.): Moriz Nähr. Fotograf der Wiener Moderne / Photographer of Viennese Modernism, Ausst.-Kat., Leopold Museum (Museums Quartier, Wien), 24.08.2018–29.10.2018, Wien - Köln 2018.
  • Uwe Schögl: Moriz Nähr and the Vienna Secession. Interrelationship between Photography and Painting, in: PhotoResearcher, Nummer 31 (2019), S. 122-133.
  • Elisabeth Dutz: Moriz Nähr. Die Biografie, in: Uwe Schögl, Sandra Tretter und Peter Weinhäupl für die Klimt-Foundation (Hg.): Moriz Nähr (1859–1945). Fotograf für Habsburg, Klimt und Wittgenstein. Catalogue Raisonné, Wien (2021). www.moriz-naehr.com (22.05.2022).
  • Andreas Gruber: Das Wittgenstein-Kompositporträt Reconstructed, in: Uwe Schögl, Sandra Tretter und Peter Weinhäupl für die Klimt-Foundation (Hg.): Moriz Nähr (1859–1945). Fotograf für Habsburg, Klimt und Wittgenstein. Catalogue Raisonné, Wien (2021). www.moriz-naehr.com (22.05.2022).
  • Markus Kristan: Nur »kris­tal­lisierter Putz«? Moriz Nähr und die Supra­porten­reliefs Josef Hoffmanns in der »Beet­hoven-Aus­stellung« in der Wiener Secession 1902, in: Uwe Schögl, Sandra Tretter und Peter Weinhäupl für die Klimt-Foundation (Hg.): Moriz Nähr (1859–1945). Fotograf für Habsburg, Klimt und Wittgenstein. Catalogue Raisonné, Wien (2021). www.moriz-naehr.com (22.05.2022).
  • Photographische Correspondenz, 28. Jg., Nummer 369 (1891), S. 300.
  • Brief von Gustav Klimt an Franz Hancke (circa 1900). bsb00134525.
  • Ansichtskarte von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Kammer am Attersee, 3. Karte (Nachmittag) (07/08/1909). RL 2736, Leopold Privatsammlung.