Madame d'Ora

Inserat des Ateliers d'Ora (Detail), in: Wiener Frisierkunst und Mode, 6. Jg., Heft Juni (1921).
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Arthur Schnitzler fotografiert von Madame d'Ora, 1915, Theatermuseum, Wien
© KHM-Museumsverband

Gustav Klimt, 1908, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek

Dora Philippine Kallmus arbeitete ab 1907 unter dem Künstlernamen »Madame d'Ora« und wurde durch die Porträts ihres prominenten Kundenkreises, die Beteiligung an Ausstellungen, ihre Modefotografien und die Veröffentlichungen ihrer Arbeiten in Zeitschriften und Modemagazinen im In- und Ausland zu einer der erfolgreichsten Fotografinnen ihrer Zeit.

Dora Philippine Kallmus wurde am 20. März 1881 in Wien geboren und stammte aus einer bürgerlichen jüdischen Familie. Der Vater Philipp Kallmus war Rechtsanwalt und Notar, und nach dem frühen Tod der Mutter Malvine (geb. Sonnenberg) wuchs Dora mit ihrer Schwester Anna Malvine bei der Großmutter auf.

Dora Kallmus begann ab 1903 zu fotografieren und war 1904 im Sommeratelier des Fotografen Hans Makart tätig, da ihr als Frau der Lehrberuf und Zugang zu institutioneller Ausbildung verwehrt war. Durch eine Sondererlaubnis erhielt sie jedoch als erste Frau Zutritt zur Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, an der sie nur Theorie- und keine Praxiskurse besuchen durfte.

Im Jahr 1905 wurde sie als Mitglied in den Wiener Photo-Club und in die k. k. Photographische Gesellschaft aufgenommen. Am 2. Mai 1906 erhielt sie den Gewerbeschein, der die Wohnadresse Schulerstraße 1 angab, und begann mit Porträtaufträgen.

Kallmus übersiedelte 1907 für ein halbes Jahr nach Berlin, um ihre Ausbildung in Fotografie, Kopie und Retusche bei Nicola Perscheid zu vertiefen. Zurück in Wien eröffnete sie unter ihrem Künstlernamen »Madame d'Ora« ihr Atelier im ersten Bezirk in der Wipplingerstraße 24-26. Zum technischen Leiter ihres Studios wurde Arthur Benda, der zuvor Perscheids Assistent in Berlin gewesen war.

Obwohl »d'Ora« unterschiedlichste Personen der Wiener Gesellschaft und des Adels fotografierte, wurde sie vor allem durch ihre Porträtaufnahmen von Künstlern und Intellektuellen bekannt. So wurden Carl Moll, Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Alexander Girardi, Emilie Flöge, Berta Zuckerkandl, Max Reinhardt und Karl Kraus von ihr abgelichtet. Im Jahr 1908 nahm sie auch eine für sie typisch ausdrucksstarke Porträtserie von Gustav Klimt auf. Die Serie umfasste rund zehn Aufnahmen, die den Maler im Anzug in verschiedenen stehenden und sitzenden Posen zeigen und wahrscheinlich in ihrem Fotoatelier entstanden. Ein 1908 erschienener Beitrag über Das moderne Photographenatelier beschreibt ihr Atelier und ihre Arbeitsweise, die sich in ihren Porträtfotografien spiegelte:

»Sie muss sich die Personen, die sie photographieren soll, erst ein wenig vertraut machen, um sie in der ihrer Eigentümlichkeit am richtigsten entsprechenden Art aufzunehmen.«

Dies gelang ihr auch, als sie 1916 die Königskrönung von Karl I. und 1917 eine Porträtserie der gesamten kaiserlichen Familie aufnahm.

Ab 1915 setzte sich Dora Kallmus mit dem Thema Tanz und seiner fotografischen Darstellung auseinander und fotografierte die Schwestern Else und Bertha Wiesenthal. Sie fand neue Bildlösungen mit szenischen Arrangements und war für die Bildregie zuständig, während Arthur Benda hinter der Kamera stand und sich um die technische Umsetzung kümmerte.

Die geschäftstüchtige Fotografin legte von Beginn an großen Wert auf die Bewerbung und Präsentation des Fotoateliers. Durch zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland – darunter im Kunstsalon Heller und im Kunstsalon Keller & Reiner – sowie Veröffentlichungen ihrer Fotos in Zeitschriften wie dem Wiener Salonblatt, Sport und Salon und Die Woche erreichte sie große Bekanntheit für die künstlerische Qualität ihrer Arbeit und konnte ihren Kundenstock weiter ausbauen. Sie stand in engem Kontakt zur Modeabteilung der Wiener Werkstätte und etablierte sich bald auch international erfolgreich als Kunst- und Modefotografin.

Von 1921 bis in die 1930er Jahre betrieb Madame d'Ora in den Sommermonaten ein Atelier in Karlsbad. Nach einigen Aufenthalten und Modefotoaufträgen ab 1923 in Paris zog sie 1925 dauerhaft um und führte ein Pariser Atelier. Das Studio in Wien betreute ihr Teilhaber Benda, der es 1927 schließlich kaufte und nach einem Zerwürfnis nur noch unter dem Namen »d'Ora-Benda« weiterführen durfte. In Paris baute Kallmus ihren Erfolg als Gesellschafts- und Künstlerfotografin aus und fotografierte namhafte Persönlichkeiten wie Maurice Chevalier, Marc Chagall, Josephine Baker, Pablo Picasso und Coco Chanel. Nebenbei arbeitete sie als Modefotografin für die großen Pariser Modehäuser wie Lanvin und Chanel, erhielt Aufträge renommierter Modemagazine, wie Die Dame, Madame, Officiel de la Couture et de la Mode und Vogue und publizierte kurze Texte. Ihr Fotostil spiegelte im Einklang mit den der zeitgenössischen Modetendenzen die Ästhetik der Zwanzigerjahre wider.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris verkaufte sie 1940 ihr Atelier, fotografierte aber weiter und schrieb v.a. autobiografische Manuskripte. Sie plante mit ihrer Schwester Anna in die USA zu emigrieren, die jedoch 1941 deportiert und später ermordet wurde. Dora Kallmus flüchtete 1942 vor den Nationalsozialisten nach Südfrankreich und konnte erst Ende 1945 wieder nach Paris zurückkehren.

Geprägt durch die Schrecken der NS-Verbrechen und als Ausdruck ihrer Exilerfahrung erfolgte ein radikaler Wandel in der Ästhetik der Fotografin. Sie fotografierte zwischen 1946 und 1948 in Wien und Salzburg Kriegszerstörungen, Flüchtlingslager und Überlebende aus Konzentrationslagern. Ab 1949 schuf sie schockierende Serien mit toten Tieren in Pariser Schlachthäusern. Daneben sicherten ihr Porträt- und Modefotos weiterhin den Lebensunterhalt.

Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Dora Kallmus im steirischen Frohnleiten, wo sie am 30. Oktober 1963 starb und beigesetzt wurde. Die sterblichen Überreste wurden 2019 exhumiert und vom Friedhof Frohnleiten zum jüdischen Friedhof Graz überführt, wo sie ein Ehrengrab als letzte Ruhestätte erhielt. 2017/18 und 2020 fanden große Retrospektiven im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, im Leopold Museum in Wien und in der Neuen Galerie in New York statt.

Literatur und Quellen

  • Monika Faber: Madame d'Ora Wien-Paris. Porträts aus Kunst und Gesellschaft 1907-1957, Wien 1983.
  • Lisa Silverman: Madame d'Ora, in: Jewish Women. A Comprehensive Historical Encyclopedia, 27, 2009, Jewish Women's Archive. jwa.org/encyclopedia/article/madame-dora (06.05.2020).
  • Tamara Loitfellner: Dora Philippine Kallmus (10.07.2018). www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/kallmus.htm (10.07.2020).
  • Monika Faber, Esther Ruelfs, Magdalena Vuković (Hg.): Machen Sie mich schön Madame d'Ora. Dora Kallmus Fotografin in Wien und Paris 1907-1957, Ausst.-Kat., Leopold Museum (Museums Quartier, Wien), 13.07.2018–29.10.2018, Wien 2018.
  • N. N.: Das moderne Photographenatelier, in: Oesterreichische Volks-Zeitung, 22.03.1908, S. 12.
  • N. N.: Genossenschaftliches. Mitteilungen der Genossenschaft der Photographen in Wien. Gewerbeanmeldungen (April bis Mai 1906), in: Österreichische Photographen-Zeitung, Heft 5 (1906), S. 78.
  • N. N.: Das moderne Photobildnis. Aufnahmen von Mme D’Ora, in: Moderne illustrierte Zeitung für Reise und Sport. Theater und Literatur, Kunst, Mode und Fremdenverkehr, 13. Jg., Heft 4 (1913), S. 6-14.
  • Jüdische Gemeinde Graz: Ehrengrab für Dora Kallmus. Fotografin zur ewigen Ruhe auf jüdischen Friedhof Graz überführt (24.10.2019). www.ots.at/presseaussendung/OTS_20191024_OTS0147 (06.05.2020).
  • Wien Geschichte Wiki. Dora Kallmus. www.geschichtewiki.wien.gv.at/Dora_Philippine_Kallmus (06.05.2020).
  • Friedrich Stern: Zwei hervorragende Vertreterinnen künstlerischer Bildnisphotographie, in: Neues Wiener Tagblatt, 04.02.1912, S. 18.
  • Edda Engelke: Stolpersteine Graz. Anna Malvine Kallmus. www.stolpersteine-graz.at/ststeiermark/kallmus-anna/ (23.01.2023).