George Minne

George Minne
© Collection City of Antwerp, Letternhuis

Der flämische Bildhauer, Grafiker, Zeichner und Illustrator George Minne befasste sich in seinem Hauptwerk vorwiegend mit symbolistisch geprägten Skulpturen. Seine Formensprache beeinflusste ab 1900 die Wiener Secessionisten, aber auch die frühen Expressionisten wie Egon Schiele und Oskar Kokoschka, die seinen Figurenstil in der Malerei übernahmen.

George-Jean-Léonard Minne wurde am 30. August 1866 im flämischen Gent (heute: Belgien) geboren und stammte aus dem gehobenen Bürgertum. Da sein Vater Architekt war, studierte auch Minne zunächst ab 1879 Architektur an der Köninklijke Academie voor Schone Kunsten. 1883 wechselte er zur Malerei bei Théodore Channeel und in seinem letzten Akademiejahr 1887 zur Bildhauerei bei Louis Van Biesbroek.

Minne bewunderte August Rodins Skulpturen und schuf davon beeinflusst 1886 sein erstes Hauptwerk Mutter, ihr totes Kind beweinend. Zur gleichen Zeit lernte er den Schriftsteller Maurice Maeterlinck kennen und illustrierte in den Folgejahren einige seiner Werke in einem mittelalterlich anmutenden grafischen Stil, der sich an den englischen Präraffaeliten orientierte. 1890 stellte Minne erstmals seine Werke mit den Symbolisten der Künstlergruppe Les XX aus, zu deren Mitgliedern auch Theo van Rijsselberghe und Fernand Khnopff zählten und der er 1891 selbst beitrat. 1892 nahm er am bedeutenden »Salon de la Rose + Croix« in Paris teil und heiratete Josephine Destanberg, mit der er insgesamt acht Kinder bekam. Geprägt durch Existenzängste versuchte sich Minne um 1893 als Bauer am Land.

Im Jahr 1895 zog er nach Brüssel und besuchte an der der Académie Saint-Luc de Gand Bildhauerkurse bei Charles van der Stappen. Er lernte Henry van de Velde und Julius Meier-Graefe kennen, die ihm wichtige Kontakte und Aufträge vermittelten und dadurch wesentlich zu seiner Bekanntheit im Ausland beitrugen. Meier-Graefe vertrat ihn zudem in seiner Pariser Galerie La Maison Moderne.

Minne fokussierte sein bildhauerisches Werk zunächst auf die nackte menschliche Gestalt und orientierte sich an dem gotischen Formideal überlängter Figuren, die er oft knieend oder sich selbst umarmend umsetzte. Besonders die Figur des Jünglings entwickelte er ab 1889 in verschiedenen Formen, Größen und Ausführungen weiter. In dieser intensiven Brüsseler Schaffensperiode entstand um 1898 auch sein Entwurf Solidarität (z.B. Cleveland Museum of Art) für das nicht ausgeführte Volders-Denkmal und ein Entwurf für den Jünglingsbrunnen, der in mehreren Exemplaren mit verschiedenen Beckenformen ausgeführt wurde (z.B. La fontaine aux agenouillés, 1905-1906, Museum Folkwang, Essen). 1899 gründete er zusammen mit symbolistischen Malern die Künstlerkolonie Latemse School in Sint-Martens-Latem und übersiedelte in den Vorort.

Es folgten Ausstellungsbeteiligungen in Belgien, in der Berliner Secession und in Wien, die Minne zum internationalen Durchbruch verhalfen. Auf der »VIII. Ausstellung« der Wiener Secession war dem korrespondierenden Vereinsmitglied 1900 ein eigener, runder Raum gewidmet, den Koloman Moser gestaltete. Unter den 14 ausgestellten Werken war die neue Version des – erstmals 1899 präsentierten – Jünglingsbrunnens. Dabei wurden die Basis und die Gipsabgüsse der fünf Knaben direkt vor Ort angefertigt und Ludwig Hevesi kommentierte: »Seit dem Mittelalter ist keine solche dürre, grätige, eckige Asketenplastik gemacht worden. Diese Menschen […] bestehen größtenteils aus Röhrenknochen und Muskelschwund.«. Auch Berta Zuckerkandl empfand ein »[…] Gefühl, das aus Befremden und Bewunderung besteht, […] sobald man den Rundsaal betritt, in welchem als einziger Bildhauer MINNE seine Werke ausgestellt hat.«.

Die Vermittlung der Arbeiten erfolgte über Meier-Graefe, der nach Ausstellungsende nur die Gussform zurückforderte. Die fünf Abgüsse verblieben in Wien und Carl Moll, Josef Hoffmann, Fritz Waerndorfer, Alfred Roller und die Sammlung Bloch-Bauer erhielten Einzelfiguren. Waerndorfers Exemplar fand einen Platz in der Kaminecke seiner Villa, zwischen Gustav Klimts Gemälden Obstgarten am Abend (1899, Privatbesitz) und Ein Morgen am Teiche (1899, Leopold Museum, Wien). Neben Minne stellten auch Jan Toorop, die Mackintoshs und Ferdinand Hodler in der »VIII. Ausstellung« aus, deren stilisierte Linienschöpfungen um 1900 richtungsweisend für die neue »Stilkunst« in Wien wurden. Die radikalisierende Menschendarstellung und das androgyne Figurenideal inspirierten nicht nur Gustav Klimt, sondern beeinflussten maßgeblich den frühen österreichischen Expressionismus mit Vertretern wie Egon Schiele und Oskar Kokoschka.

Minne war 1902 erneut in der Secession vertreten: Auf der sogenannten »Beethovenausstellung« mit vier Plastiken im Lesesaal und in der »XV. Ausstellung« mit dem Denkmal für den Dichter Rodenbach (1899, Alter Beginenhof, Gent).

Die Galerie Miethke organisierte im Dezember 1905 eine eigene Präsentation von Minnes Werken und 1906 wurde Molls Jünglings-Abguss in der Ausstellung »Alte und moderne Meister« unter dem Titel Betender Knabe gezeigt. Moll verewigte seine Minne-Figur zudem in dem Selbstbildnis Mein Atelier (1906, Akademie der bildenden Künste Wien). Ferner integrierte die Wiener Werkstätte 1906 in ihren Schauräumen in der Neustiftgasse 32 einen Jüngling in der Ausstellung »Der gedeckte Tisch«. Im Saal der Wiener Werkstätte auf der »Internationalen Kunst-Ausstellung« in Mannheim stellte Gustav Klimt 1907 drei Gemälde aus und zwei knieende Knaben von Minne flankierten dabei das Porträt Adele Bloch-Bauer I (1907, Neue Galerie, New York). Zu seinen prominenten Wiener Sammlern zählten außer Fritz Waerndorfer, dem Mäzen und Mitbegründer der Wiener Werkstätte, auch Ferdinand Bloch-Bauer und Erich Lederer.

Die Akademie in Gent berief Minne 1913 als Zeichenlehrer, jedoch flüchtete er nach Ausbruch des ersten Weltkrieges mit seiner Familie nach Wales, wo er mangels Materials rein zeichnerisch tätig war. Nach Kriegsende kehrte er zurück nach Gent, wo er seinen Lehrauftrag wieder aufnehmen konnte. George Minne wurde 1931 in den Adelsstand erhoben, erhielt einige offizielle Aufträge und starb am 20. Februar 1941 in Sint-Martens-Latem.

Literatur und Quellen

  • Ludwig Hevesi: Aus der Sezession, in: Acht Jahre Sezession (März 1897–Juni 1905). Kritik – Polemik – Chronik, Wien 1906, S. 288-293.
  • Marian Bisanz-Prakken: George Minne und die Wiener Moderne um 1900, Wien 2011.
  • Inga Rossi-Schrimpf: George Minne. Das Frühwerk und seine Rezeption in Deutschland und Österreich bis zum Ersten Weltkrieg, Weimar 2012.
  • Georg Minne. georgeminne.vlaamsekunstcollectie.be/en/biography (14.09.2020).
  • Julius Meier-Gräfe: Das plastische Ornament, in: Pan-Genossenschaft (Hg.): Pan, Heft 4 (1898/99).
  • N. N.: George Minne, in: Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession (Hg.): Ver Sacrum. Mitteilungen der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, 4. Jg., Heft 2 (1901), S. 31-38.