Emil Pirchan

Emil Pirchan in seinem Münchener Atelier, um 1912
© Sammlung Steffan / Pabst, Zürich

Der als Architekt, Gebrauchsgrafiker, Bühnenbildner und Autor tätige Universalkünstler Emil Pirchan revolutionierte durch seine modernen, expressionistischen Entwürfe nachhaltig das Verständnis von Grafik und Ausstattungswesen. Mit seinen Monografien über Gustav Klimt und Hans Makart legte er einen wichtigen Grundstein für die heutige Forschung.

Emil Pirchan wurde am 27. Mai 1884 als Sohn einer böhmischen Familie in Brünn geboren. Sein Vater Emil Pirchan sen. war Maler, hatte bei Carl Rahl gelernt und fungierte als Zeichenlehrer für den Grafen Salm-Reifferscheidt. Seine Mutter Karoline war die Tochter eines wohlhabenden Brünner Textilfabrikanten. Gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester Elsa wuchs Emil Pirchan in einem stark kulturell geprägten Umfeld auf. Die Pirchans unterhielten einen Salon, in dem Künstler und Musiker ein- und ausgingen. Mit zunehmendem Alter nutzten die beiden außerdem die Loge der Großeltern mütterlicherseits im Brünner Stadttheater. Dort begann Pirchans Liebe zum Theater, für das er später als Bühnenbildner tätig sein sollte. Auch seine schriftstellerischen Tätigkeiten zeigten sich schon in jungen Jahren. Er verfasste Gedichte, kleine Geschichten, Theaterstücke sowie eine kleine Autobiografie. Nach seinem Schulabschluss 1902 unternahm er zunächst eine Studienreise nach Italien und übersiedelte anschließend nach Wien.

1903 bestand er die Aufnahmeprüfung an der k. k. Akademie der bildenden Künste Wien, wo er drei Jahre lang unter Otto Wagner Architektur studierte. Während dieser Zeit verkehrte der junge Künstler im Café Museum. Dort machte er Bekanntschaft mit den Secessionisten, darunter auch Josef Maria Olbrich, Alfred Roller, Gustav Klimt und Josef Hoffmann, der zudem sein Cousin zweiten Grades war.

Emil Pirchan: Entwurf für ein Landhaus, in: Der Architekt. Wiener Monatshefte für Bau- und Raumkunst, 14. Jg. (1908).
© Universitätsbibliothek Heidelberg

Emil Pirchan: Toilett-Tisch, in: Innendekoration, 24. Jg., Heft 12 (1913).
© Universitätsbibliothek Heidelberg

Gebrauchsgrafik, Bühnenbilder und Lehrtätigkeit
Trotz mehrerer Auszeichnungen während des Studiums, stellte sich der erhoffte Erfolg im Berufsleben nicht sofort ein. Zunächst kehrte Pirchan als Zeichenlehrer in seine Heimatstadt Brünn zurück. Daneben war er weiterhin als Autor tätig, übernahm diverse kleinere Aufträge und war Mitglied der Künstlergruppe Die Scholle. Das Blatt wendete sich jedoch als Pirchan 1908 nach München übersiedelte und dort sein eigenes Atelier für Architektur gründete. Neben der Planung diverser Einfamilienhäuser und Wohneinheiten, reüssierte Pirchan vor allem als Gebrauchsgrafiker. Zu seinen Auftraggebern gehörten unter anderem die Künstlergemeinschaft Die Brücke, Klavier D. J. Bosman, Tänzerinnen sowie diverse Buchhandlungen. Dies führte dazu, dass Pirchan 1913 eine Kunstschule für Gebrauchsgrafik und Bühnenbild eröffnete. Im selben Jahr heiratete er außerdem Johanna »Hanny« Diehl, die Tochter des verstorbenen Leibarztes des Prinzregenten Luitpold von Bayern.

Neben Plakaten, entwarf Pirchan auch zahlreiche Bühnenbilder. Über sich selbst schrieb er:

»Ich bin dem Theater verfallen mit Pinsel und Feder, mit Herz, Hirn und Hand [...] Also nicht nur Bühnenbildner [...] sondern innig beflissener Diener am Gesamtkunstwerk des Theaters«

Seine »Gesamtkunstwerk«-Entwürfe galten jedoch vorerst als schlicht nicht umsetzbar und so stellte er sie 1912 in der Galerie Tannhauser aus, wo sie wohlwollend aufgenommen wurden. Erst nach dem Krieg 1919 wurde er schließlich unter Bruno Walter als Ausstattungsdirektor an die Bayerischen Staatstheater in München berufen. Später wechselte er unter Leopold Jessner nach Berlin, wo er mehrere hunderte Produktionen sowohl für seine neue Heimatstadt Berlin, als auch für internationale Schauspielhäuser ausstattete. 1931 sollte er die Bühnenbildklasse der Deutschen Akademie für Musik und darstellende Kunst in Prag übernehmen. Doch schon zwei Jahre nach Antritt der Stelle bemühte er sich bereits um eine Versetzung nach Wien. 1936 wurde sein Wunsch erfüllt. Pirchan wurde als außerordentlicher Professor an die Akademie der bildenden Künste Wien und als Bühnenbildner an das Burg- und das Akademietheater berufen. Zudem übernahm er die Leitung einer neu gegründeten Meisterschule für Bühnenbildkunst. Er zog zurück in die Reichshauptstadt und nahm die Österreichische Staatsbürgerschaft an.

Galerie

Emil Pirchan und das Theater

  • Emil Pirchan: Bühnenbildentwurf für Wilhelm Tell, um 1919, Theatermuseum, Wien
    © KHM-Museumsverband
  • Aufführung von Medea in München, Bühnenbildentwurf von Emil Pirchan, in: Innendekoration, 31. Jg., Heft 4 (1920).
    © Universitätsbibliothek Heidelberg
  • Emil Pirchan: Bühnenbildentwurf für »Ein Sommernachtstraum«, 1923, Theatermuseum, Wien
    © KHM-Museumsverband

Emil Pirchan: Titelseite der »Mitteilungen des Vereins Deutscher Reklamefachleute, Heft 43, August 1913
© Sammlung Steffan / Pabst, Zürich

Pirchan revolutionierte mit seinen expressionistischen Entwürfen nachhaltig das Verständnis von Inszenierung und Grafik. Durch seine lehrenden Tätigkeiten – für die Pirchan zahlreiche Auszeichnungen erhielt – gab er sein Wissen an die nächste Generation weiter.

Pirchan als Autor
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 fiel der Bedarf an Gebrauchsgrafik rasant. Pirchan, der mit einem Mal seine stärkste Einnahmequelle verloren hatte, wandte sich daher vermehrt der Schriftstellerei zu. 1914 veröffentlichte er das Legendenspiel Das Teufelselixier, 1918 folgte sein erster Roman Der zeugende Tod. Beide Publikationen hatte er selbst illustriert. Seine bibliophile Zeitschrift EOS konnte sich ebenfalls gut verkaufen. Die meisten seiner Publikationen waren grafisch sehr hochwertig gestaltet. Besondere Luxusauflagen wurden teilweise per Hand von Pirchan koloriert.

In den 1930er und 40er Jahren erfolgte ein neuer literarischer Aufschwung im Schaffen des Universalkünstlers. Wiederum bedingt durch ein Abflauen seiner Tätigkeit als Grafiker und Bühnenbildner – diesmal motiviert durch die Professur an der Akademie – widmete sich Pirchan einer Reihe von Tänzerinnen- und Künstlermonografien. Während des Zweiten Weltkriegs erschienen zunächst Werke über Fanny Elssler und Therese Krones. Im Jahr 1942 folgte neben einer Makart Biografie auch die Publikation Gustav Klimt. Ein Künstler aus Wien.

Emil Pirchan: Gustav Klimt. Ein Künstler aus Wien, Wien - Leipzig 1942.
© Klimt-Foundation, Wien

Eine Gustav Klimt Monografie
Nach Max Eislers umfassender Klimt-Monografie von 1920, die sich eher auf das Werk des Künstlers fokussierte, befasste sich Pirchan vermehrt mit dessen persönlichen Umfeld. Der mit Klimt aus seiner Zeit im Café Museum bekannte Universalkünstler wählte eine Mischung aus sachlicher Berichterstattung und anekdotischer, romanhafter Erzählung für seine Publikation. Diese Anekdoten verdankte er, neben seinen eigenen Erinnerungen, auch seinen zahlreichen Quellen die sich aus Freunden und Familie des Malers speisten. Neben den mit Klimt befreundeten Künstlern Rudolf Bacher, Moriz Nähr, Carl Moll und Michael Powolny lieferte auch die enge Familie intime Details. Seine Nichte Helene Donner, ihre Tante Emilie Flöge, die Witwe seines Bruders Georg, Franziska Klimt, seine Schwester Johanna Zimpel und sein unehelicher Sohn Gustav Ucicky versorgten Pirchan mit Geschichten über den Künstler ebenso wie mit Abbildungen aus dessen Nachlass. Unter den Klimtsammlern wurde jedoch nur Mäda Primavesi als Quelle herangezogen. Alle anderen Mäzene waren aufgrund ihrer jüdischen Abstammung außen vor gelassen worden. Damit bildet das Werk heute eine wertvolle, wenn auch nicht vollständige Sammlung von Erinnerungen längst verstorbener Zeitzeugen.

Die Betonung des »wienerischen« und »österreichischen« das die Monografie dominiert, diente zweifelsohne einer Reminiszenz an Wien als ehemalige Kulturhauptstadt Europas. Der moderne Künstler Gustav Klimt konnte dem Brandstempel der »Entartung« entgehen, indem ihn Pirchan als »typischen Österreicher« deklarierte, der »wieder Hochachtung vor Wiens Kunst« errungen hatte. Pirchan machte somit aus Klimt einen patriotischen Vorkämpfer für österreichisches Kulturgut, während er dessen jüdische Förderer und Auftraggeber bewusst ausblendete. Dies passte hervorragend zu dem Bestreben der Nationalsozialisten zur »Wiederbelebung der klassischen österreichischen Kulturtradition«. Gerade diese populistische Schreibweise führte dazu, dass die Werke sich großer Beliebtheit erfreuten. Die dadurch erneut aufgeflammte Klimt-Begeisterung zeigte sich unter anderem in der Veranstaltung einer Gedächtnisausstellung durch das NS-Regime mitten im Zweiten Weltkrieg 1943. Emil Pirchan wurde eingeladen aktiv an dieser Schau mitzuwirken, die das Ziel hatte Klimts »Rassenechtheit als Wiener« aufzuzeigen. Die nationalistischen Passagen wurden in der Neuauflage von 1956 überarbeitet und in abgeschwächter, relativierter Form neu formuliert. 

Emil Pirchan, der seine künstlerischen, schriftstellerischen und Lehrtätigkeiten bis ins hohe Alter weiterverfolgte, starb am 20. Dezember 1957 in Wien. Noch im Vorjahr hatte er eine Publikation über seinen Lehrer Otto Wagner vollendet. Bereits im Folgejahr wurde ihm eine Gedenkausstellung ausgerichtet.

Literatur und Quellen

  • Emil Pirchan: Gustav Klimt, Wien 1956.
  • Emil Pirchan: Gustav Klimt. Ein Künstler aus Wien, Wien - Leipzig 1942.
  • Beat Steffan (Hg.): Emil Pirchan. Ein Universalkünstler des 20. Jahrhunderts, Wien 2018.
  • Sophie Lillie: Die Gustav Klimt -Ausstellung von 1943, in: Peter Bogner, Richard Kurdiovsky, Johannes Stoll (Hg.): Das Wiener Künstlerhaus. Kunst und Institution, Wien 2015, S. 334-341.
  • Eingehende Darstellung des Lebenslaufs. Emil Pirchan. www.donjuanarchiv.at/seemann/wallishausser/corpus/stary/lebenslauf.htm (29.08.2022).
  • Iris Pawlitschko: Jüdische Buchhandlungen in Wien. „Arisierung“ und Liquidierung in den Jahren 1938 bis 1945, Dipl. Univ. Wien 1996. www.wienbibliothek.at/sites/default/files/files/buchforschung/pawlitschko-iris-j%C3%BCdische-buchhandlungen.pdf (29.08.2022).
  • Emil Pirchan. emilpirchan.com (01.09.2022).